Kanonenschlag


Freudentanz für die Superlative


Wenn ich wie eine Prinzessin durch die Wohnung tanze, liegt das meist daran, dass wenige Sekunden später eine Pizza an der Haustür auftaucht. Im Spätsommer vergangenen Jahres kam es anders. Der Lieferjunge von DHL hatte geklingelt und wie üblich stürmte ich ihm im Treppenhaus entgegen. Eine große Kartonage für mich. „Her damit!“ Schwer beladen wetzte ich zurück in den heimischen Flur, entfernte die braune Umverpackung und merkte plötzlich, wie mich ein Rhythmus durchzuckte, als ich den Inhalt betrachtete. Der Groove stieg immer weiter in mir rauf, bis ich plötzlich mit einer Flasche Whiskey im Arm wild tanzte – denn damit hatte ich nicht gerechnet: 'Bow Street'. Älter, härter, teurer. Nicht weniger als die brandheiße neue Premium-Abfüllung aus Irland, nicht weniger als das attraktive neue Flaggschiff von Jameson. 18 Jahre Reifezeit, angefeuert von imposanten 55.3 % Alkohol und mit enormen 149 € fast so teuer wie ein Einfamilienhaus. Was für eine Kampfansage!

Warum mir jene Ehre zuteilwurde? Die Welt hat endlich erkannt, dass ich zur Crème de la Crème professioneller Fotografen gehöre. Was haben meine Freunde damals gelacht. Mich als Instagram-Schlampe beschimpft und Selfie-Nutte gerufen. Ihre Mäuler haben sie aufgerissen und mir ihren heißen Speichel entgegengeschleudert. Aber ich blieb standhaft. Ein Konzept habe ich mir zurechtgelegt und behutsam jede neue Flasche Gin, Whisky und Rum abgelichtet. Mit schönem Hintergrund, flotten Sprüchen und einem bunten Blumenstrauß wohldurchdachter Hashtags. Über 1.111 Menschen folgen mir bereits auf meiner Reise über die Rasierklinge, zwischen Genuss und Alkoholismus.

Ein junges Talent mag ich zwar sein, den Freudentanz habe ich dann aber doch ausschließlich einer Freundin zu verdanken, die Pernod Ricard auf mich und meine kleine Foto-Lovestory aufmerksam gemacht hat. „Dem Jungen müssen wir helfen!“, dachte man sich offenbar. Und so kam er zu mir, der 'Bow Street'. Das Beste daran? Ich darf die Freude teilen. Parallel zu diesem Artikel schalte ich eine Verlosung auf Instagram frei, so dass meine Follower die Gelegenheit erhalten, den Hochkaräter selbst unter die Lupe zu nehmen. Ich bin damit ziemlich spät dran, aber mir kam viel dazwischen. Danke Jameson, danke Tine, danke Canon-Programmautomatik!



Auf der Zunge präsentiert sich der Whiskey als Hommage an das stolze irische Volk. Eine Kombination aus dem pfeffrig-prickelnden Faustschlag eines wütenden Trinkers und dem betörenden Kuss einer rothaarigen Folkloretänzerin in grünem Gewand. Aus diesem scheinbaren Ungleichgewicht formt Jameson eine Einheit, ein Meisterwerk. In einem Moment ein Kanonenschlag, im nächsten eine Streicheleinheit aus Vanille, Karamell, Sherry, Nuss und Leder. Beeindruckend voll und rund. Gewürze und (dunkle) Früchte wechseln sich immer wieder ab, werden von Röstaromen und kräftiger Eiche begleitet. Ein komplexes Ungetüm: Perfekt, um lange darin abzutauchen.

Er ist ganz klar ein Profi. Und Jameson hat wirklich alles dafür getan, ihn auch entsprechend in Szene zu setzen. Es beginnt mit der Bow Street höchstselbst. Jener Straße, in der Jameson einstmals Whiskey zu brennen begann. Produziert wird hier aber schon sehr lange nicht mehr. Das tut man weiter weg in Midleton. Geblieben ist nur das Besucherzentrum der Brennerei. Für den fassstarken neuen Release hat man sich jetzt überlegt, die nahezu fertig gereiften Fässer aus der Ferne in die alte Heimat zu bringen und erst dort, mitten in Dublin, abzufüllen. Super Marketing. Damit jedoch nicht genug. Die Flasche selbst ist ein richtiger Hingucker und übernimmt schnell die Kontrolle über eure Hausbar. Mächtig, schwer, imposant geschliffen und mit grimmig-dunkelgrünem Etikett. Dazu eine Kupfer-Applikation am Flaschenhals und ausgeliefert wird der Whiskey in einer noch größeren Holzbox. Überwältigend von Anfang bis Ende, ein wahrer Schatz.

Wie gut, dass der 18-Jährige damit jedoch keine Schwächen zu überspielen versucht. Wunderbar schimmert er rotgold im Glas, verbreitet sein süßes Aroma im Raum und offenbart der Nase nach einiger Zeit an der Luft immer mehr: Zitrone trifft Eiche, Pfeffer begegnet Karamell, Sherry umarmt Vanille, Tabak liebkost reife Banane. Dunkle Früchte sind ebenfalls präsent und ölig, voll und schwer ist das Gefühl am Gaumen. Ich habe den Whiskey übrigens nicht verdünnt. Da bin ich ja kein Freund von. Wer 'Bow Street' einen Moment Zeit gibt bzw. seinem Gaumen, der merkt, wie lammfromm der Ire eigentlich ist. Das kennt man von der Grünen Insel und auch dieser Blend ist keine Ausnahme. Der Abgang ist wunderbar intensiv und macht Lust auf mehr. Wer sich von der Fassstärke nicht überrumpeln lässt, der bekommt einen herrlich süffigen Whiskey, bei dem es viel zu entdecken gibt. Der Preis mag ein kleiner Dämpfer sein, jedenfalls wenn man gerne schnell und viel trinkt, aber es ist schon ein wuchtiges Gesamtpaket, das Jameson da geschnürt hat. Überaus empfehlenswert! (10.2018)