the Order : 1886


Ritter der Tafelrunde (mit Lasern)


Das Setting von the Order zieht mich an wie ein Magnet. England 1886. Alles ist düster und dunkel. Am Himmel tummeln sich Luftschiffe und die Leute sind gekleidet wie bei Gangs of New York. Doch sie kommunizieren per Funk. Neben abgesägten Schrotflinten und fetten Revolvern gibt es außerdem Thermitgewehre und Strahlenwaffen. Fantastisch. Ein Mix aus Fantasy, Science-Fiction und Steampunk. Klar war mir eigentlich sofort, dass ich dieses Spiel spielen will – was ich jetzt, knapp zwei Jahre nach Release, endlich getan habe.

Meine Verwandlung in Sir Galahad ist unkompliziert. Der Protagonist hat mich mit seiner rauen Stimme und dem fein frisierten Schnauzbart sofort auf seine Seite gezogen. Als Ritter des Ordens bekämpft er in einer Spezialeinheit eine Terrorzelle der Rebellen, die London in Angst und Schrecken versetzt. Dazu kommt eine anhaltende Mordserie durch sogenannte Half-Breeds, also Werwölfe. 1886 legt sehr viel Wert auf die Geschichte und rückt diese entsprechend stark in den Fokus. Es gibt zahlreiche ausladende Zwischensequenzen und Dialoge, die butterweich ins Spiel integriert sind und den Plot nicht bloß vorantreiben, sondern ihn durch eine packende Inszenierung lebendig und spannend gestalten. Der Ausflug nach England macht Spaß, wird erstaunlich reif und erwachsen präsentiert und ist alles in allem äußert gut gelungen. So gut, dass ich gerne noch länger und tiefer abgetaucht wäre.



Der 3rd-Person-Shooter ist allerdings eines jener Spiele, die man, positiv formuliert, als kurz und knackig bezeichnen würde. Gestört hat mich die geringe Spieldauer nicht, bloß flimmert der Abspann tatsächlich schon nach ca. sechs Stunden über den Schirm. Schade, aber irgendwie okay. Negativ fällt indes auf, dass einem während jener knapp bemessenen Spielzeit gar nicht mal so viel geboten wird. The Order führt euch auf engen Pfaden von A nach B und wird regelmäßig durch intensive Schusswechsel unterbrochen. Das Rad wird also nicht neu erfunden, muss auch nicht, aber während bei vielen Konkurrenten oft der Weg das Ziel ist, ist es hier tatsächlich einfach nur der Weg. Ready at Dawn lässt euch keinerlei Spielraum für das Erkunden der Umgebung. Alternative Routen gibt es nicht und weil 1886 unheimlich eng geraten ist, langweilt man sich ein wenig. Klar, in den Straßen und Hinterhöfen des alten Englands ist das durchaus noch glaubwürdig, aber auch alle anderen Schauplätze sind klein und gestaucht, nicht weitläufig und groß. Das ist schade, denn das Setting birgt eine Menge Potential. Nein, während man von Kampf zu Kampf marschiert, stößt man nur auf einige wenige Sammelobjekte und Zeitungsartikel und kann hier und da mal ein Gadget benutzen. Eigentlich sogar nur eins. Damit überbrückt man Sicherungskästen und öffnet verschlossene Türen. Gute Ansätze gibt es zu Hauf, 1886 ist stimmig und funktioniert, man hat es nur nicht vernünftig ausgebaut.

Galahad kann immer zwei Waffen gleichzeitig tragen, wirft gerne auch mal eine Granate aufs Schlachtfeld und bringt sich in Sicherheit, sobald Feinde in der Nähe sind. Ein klassischer Deckungsshooter eben. Bereichern kann 1886 das Genre allerdings nicht, was vor allem an den unkreativ nachströmenden Widersachern liegt, die man Welle um Welle auslöscht. Dann und wann mischen größere, etwas speziellere Gegner das Kampfgeschehen auf, das reicht aber nicht. Von den exotischen Sci-Fi-Waffen gibt es weniger als gedacht, der Nahkampf sieht toll aus, wird aber selten gebraucht – gerettet wird der Titel nur von seiner Intensität. Denn die ist immer spürbar. Die wuchtige Umsetzung schafft es, die kaum vorhandene Abwechslung zumindest einigermaßen zu kompensieren. Mir haben die Feuergefechte deshalb trotz dezenter Eintönigkeit irgendwie viel Spaß gemacht.



Eine andere Stärke des Titels ist die Inszenierung. Getragen vom bereits erwähnten Setting und der m. E. gelungenen Geschichte, entführt mich the Order in eine absurde und doch ungemein stilvolle Fantasy-Welt. Technisch war das Spiel zum Release im Jahre 2015 in aller Munde, was an der hohen Detaildichte, den makellosen Texturen und den streckenweise famos ausgeleuchteten Locations liegt. Doch auch 2017, also zwei Jahre danach, bleibe ich an einigen Stellen stehen und bestaune die mir dargebotene Pracht. Es sieht irre gut aus. Kritisch muss ich jedoch hinterfragen, wieso man dem Spiel dicke Balken am oberen und unteren Bildrand verpasst hat. Soll es dadurch noch mehr wirken wie ein Film? Dazu kommt, dass es im Jahre 1886 offenbar unfassbar dunkel gewesen ist. Das Schwarz verschluckt viele Teile Londons nahezu vollständig. Und unglücklicherweise ist die Kombination aus eingeschränktem Sichtfeld (3rd-Person), dicht wabernder Dunkelheit, dicken Balken und gnadenlos engen Leveln einfach keine vernünftige Designentscheidung. Auf meinem Fernseher sorgt das für starke Schlieren und einen Effekt, den ich nur mit dem englischen Schlagwort blurry bezeichnen kann. Was für ein hübsches Spiel, welch fragwürdige Stilmittel. In Sachen Synchro und Sound verstummt meine Kritik allerdings, denn beides ist einfach nur großartig.

The Order : 1886 ist fast schon ein Paradebeispiel dafür, wie man einen vermeintlichen Toptitel ins Mittelfeld degradiert. Den geringen Umfang mache ich dem Spiel dabei nicht mal zum Vorwurf, sondern die vorherrschende Ideenlosigkeit und die in Teilen weniger gekonnte Umsetzung. Dennoch war es ein Vergnügen durch London zu eilen, mit Granatwerfern auf ungepanzerte Rebellen zu feuern und den spannenden Plot zu verfolgen. Ja, mir gefällt die Atmosphäre, die Auswahl der Level, die griffigen Kämpfe, aber natürlich täuscht das alles nur bedingt über die Unzulänglichkeiten hinweg.


★★★★     (befriedigend)

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Genre: Action
Entwickler: Ready at Dawn
Publisher: Sony Computer Entertainment

Release: Februar 2015
getestet: November 2017 // PlayStation 4 // pal deutsch // Limited Edition