Horizon : Zero Dawn


Dein Haar ist Winterfeuer


Bei einem JGA in Amsterdam stand unsere Gruppe völlig unverhofft mit einem Mal vor den Türen von Guerrilla Games. Laut begann ich zu jubeln, alle anderen zuckten nur mit den Schultern. Amateure. Damals stand Zero Dawn kurz vor der Veröffentlichung und ich war bereits Feuer und Flamme. Ahnen konnte ich zu diesem Zeitpunkt allerdings nicht, dass Horizon ein derartiges Meisterwerk werden würde. Eines der schönsten Spiele, das ich je gesehen habe. Mit einzigartigem Setting, hervorragender Spielbarkeit, tadelloser Inszenierung und makelloser Atmosphäre. Nicht in Superlativen zu sprechen fällt mir fast ein wenig schwer. Hätte ich mir damals besser ein paar Autogramme geholt.



Friedlich wiegt der Wind das Gras hin und her. Im Hintergrund wachen Berge wie weiße Giganten über die grüne Landschaft, unberührt und still. Ich entdecke ein paar Heilpflanzen am Wegesrand. Aufgeschreckt rennt ein Fuchs vor mir davon und etwas weiter vorn plätschert ein Bach vor sich hin. Gerade möchte ich weiterziehen, als ich wie paralysiert erstarre. Maschinen. Zwei große Exemplare. Direkt vor mir. Mit leuchtenden Augen, stählernen Panzern und langen Antennen. Sie scheinen mich nicht gewittert zu haben und grasen jetzt, scheinbar in Harmonie. Doch das kann sich blitzschnell ändern. Ich gehe in die Hocke, zücke meinen Tripcaster und versuche vorsichtig das hohe Gras hinter mir zu erreichen. Zu spät. Bizarre elektrische Geräusche durchschneiden die Idylle, die Scheinwerfer der vogelartigen Maschinenkreaturen färben sich blutrot und schlagartig stürmen beiden auf mich zu. Ich schaffe es gerade noch einen Stolperdraht zu spannen, hechte weiter nach hinten und feuere dann mit meinem Bogen ein paar Pfeile ab. Die eiserne Außenhülle der Geschöpfe nimmt kaum Schaden. Doch ich bin kein Greenhorn. Ich kenne die Schwachpunkte von Snapmaw, Broadhead, Lancehorn und Sawtooth. Sensible Maschinenteile, schlecht geschützte Stellen an Bauch, Kopf oder Rücken, die ich jetzt bei den Longlegs zu erwischen versuche. Der erste Vogel verfängt sich in meinem Draht, geht zuckend zu Boden und ist von Stromstößen gelähmt. Zeit. Ich wechsle zu Brandpfeilen und beschieße das zweite Ungetüm. Es geht tatsächlich in Flammen auf. Mehr Zeit. Rasch stürze ich mich auf den verletzten Vogel und ramme ihm mit voller Wucht meine Lanze in die Seite. Ein kritischer Treffer. Doch das andere Geschöpf hat sein Treibstoffleck bereits geflickt, die Flammen gelöscht. Mit einem unfassbaren Sprung bricht es über mich herein, hämmert mir seine stählernen Hufe vor die Schulter und schreiend stürze ich nach hinten, rolle mich irgendwie ab und wechsle abermals die Pfeile. Gehärtete Hardpoint-Spitzen. Damit nehme ich seine Flügel ins Visier, einer reißt sofort ab. Doch die Maschine ist nicht zu bremsen, wird immer schneller, dampft und zischt. Jetzt ziele ich auf den Kopf. Weitere Wirkungstreffer. Und schließlich geht das metallene Monster knisternd und in einem Funkenregen zu Boden, ist tot, sofern man diese Dinger überhaupt töten kann. Die Lichter jedenfalls sind aus.

Horizon zeigt euch eine Welt ohne Großstädte und Autobahnen, in der es nur Wege und Pfade gibt. Kleine Siedlungen, die von urigen Stämmen mit markanter Kriegsbemalung bewohnt werden. Aberglaube und rohe Gewalt sind an der Tagesordnung und nur langsam kommt man dahinter, wieso das alles so ist. Denn Spuren vergangener Zeiten ragen vielerorts wortwörtlich aus dem Boden: Gebäudeskelette von Fabriken oder Stadien, ausgebrannte Fahrzeuge und dunkle Höhlen voll absurder Technik. Dazwischen immer wieder diese gewaltigen, primitiv agierenden Tötungswerkzeuge, deren Existenz man nicht erklären kann und die einfach als Maschinen bezeichnet werden. Sollte das die Apokalypse sein, das, was von allem übrig ist, dann ist die Katastrophe schon Jahrhunderte her. Inmitten dieser schönen neuen Welt übernehmt ihr die Rolle von Aloy, einer mutigen Kriegerin. Angetrieben von Ehrgeiz und Rechtschaffenheit sucht sie nach ihrer eigenen Wahrheit, ist überdies aber allen Menschen eine helfende Hand. Das Action-Adventure erzählt ihre Geschichte in einer spannenden und umfangreichen Kampagne, mit vielen Sidequests, Zwischensequenzen, Dialogen und Figuren.



Wenngleich die spielerische Struktur typisch für das Genre ist, eine Mischung aus Stealth, Kampf und Erkundung, gibt euch der Open-World-Titel niemals einen Weg vor. Ihr bestimmt wo es langgeht, mit welcher der markanten Waffen ihr die Feinde unter Beschuss nehmt, ob ihr offensiv oder defensiv agieren wollt. Wer den Weg durch die Mitte scheut, der kann sich auf Gefechte vorbereiten, Drähte spannen oder Fallen auslegen, Laufwege analysieren oder aus sicherer Deckung tödliche Schläge gegen unachtsame Widersacher landen. Egal ob faszinierendes Maschinenwesen oder menschliche Feinde, die Kämpfe fordern eure Reflexe, sind interessant und intelligent ins Spiel integriert worden. Das alles in einer unfassbar detaillierten Welt, die irgendwie Endzeit mit Steinzeit kombiniert und mich anzieht wie ein Magnet. Insgesamt ist Zero Dawn gelinde gesagt episch, dabei glaubwürdig und unterhaltsam, hochwertig, umfangreich, faszinierend und wunderschön.

Aloy ist nicht nur Jägerin, sondern auch talentierte Sammlerin. Sie stellt aus gefundenen Materialien eigene Munition und Heiltränke her und verbessert nach und nach ihre Fertigkeiten. Das ist gegen die mächtigen Feinde auch bitter nötig, wobei man den Konflikten fast immer auch ausweichen kann. Umprogrammierte Maschinen werden außerdem zu Helfern oder Reittieren umfunktioniert. Die agile Protagonistin ist flink zu Fuß, geschickt am Hang und skrupellos an schweren Geschützen – ein Multitalent mit flammend roten Haaren. Zero Dawn lässt sich nur mit Mühe in weniger als 25 Stunden beenden, einplanen sollte man gut 15 Stunden mehr. Versteckte Schätze, zeitbasierte Jagd-Szenarien und Rettungs- bzw. Detektivmissionen halten euch bei der Stange. Guerrilla hat an nichts gespart, sondern richtig geklotzt. Sicher erfindet man das Rad nicht neu, doch das Spiel zaubert mir einfach nur ein breites Lächeln aufs Gesicht.


★★★★★★     (sehr gut)

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Genre: Action-Adventure
Entwickler: Guerrilla Games
Publisher: Sony Interactive Entertainment

Release: März 2017
getestet: April 2018 // PlayStation 4 // pal deutsch