Spider-Man


„Face it tiger – you just hit the jackpot!“


Ich bin mit den Ninja Turtles und He-Man aufgewachsen, mit Batman und Superman. Logischerweise auch mit Spider-Man, den ich schon auf dem Game Boy in den virtuellen Kampf gegen Rhino, Mysterio und irgendeinen fliegenden Kobold geschickt habe. Seitdem sind viele, viele Jahre vergangen. In dieser Zeit habe ich weitestgehend das Interesse an Superhelden verloren – der einzig wahre ist ohnehin mein Vater – und auch das Telespiel hat unterdessen den ein oder anderen Fortschritt gemacht. Das beweist Insomniac Games recht eindrucksvoll: Im hautengen Latexanzug schwingt sich Spider-Man durch imposante 4K-Straßenzüge, schützt unschuldige Bürger spektakulär vor Chaos und Tod und verprügelt in rasanten Gefechten zahllose böse Jungs. Aus schlecht lesbaren Textfeld-Dialogen sind kinoreife Zwischensequenzen geworden und anstelle von piepsiger 8-Bit-Musik bebt nun ein raumfüllender 5.1-Soundtrack durch mein Wohnzimmer. Hochmotiviert mache ich mich an die Arbeit; denn es gibt wirklich eine Menge zu tun in diesem bildschönen Action-Adventure.

Im Prinzip beginnt alles mit einer guten Tat. Spider-Man bringt den Kingpin zu Fall, den König des Verbrechens. Zusammengeschnürt wird er der Polizei übergeben und ist somit aus dem Rennen. Doch der kriminellen Hydra NYCs schlägt man nicht so einfach den Kopf ab. Plötzlich taucht aus dem Untergrund eine neue Organisation auf, mit dämonischen Masken bekleidet, die den Terror auf eine ganz andere Stufe hebt. Zwar hat mir der übernatürliche Esprit der Bande nicht gefallen, ebenso wenig deren leuchtende Augen, trotzdem bin ich angetan von der Handlung. Insomniac nimmt sich Zeit, um die Geschichte mit diversen Cutscenes und Dialogen zu erzählen. Im Spielverlauf tun sich ständig neue Baustellen und Optionen auf, um die sich unser Superheld kümmern muss. Im letzten Viertel knallt es dann so richtig, wenn alle Fäden zusammenlaufen und der Showdown unmittelbar bevorsteht.



Bis dahin hat man schon gute 20 Stunden auf der Uhr, was unter anderem an den Sidequests liegt, die euch clever von der Haupthandlung ablenken. Selbst ohne Ziel ist es die helle Freude durch New York zu rasen, Sehenswürdigkeiten zu fotografieren oder versteckte Rucksäcke aufzuspüren. Laufend kommen Meldungen zu kleineren Verbrechen rein, denen ihr nachgehen könnt, aber nicht müsst. Es ist gut ausbalanciert, setzt euch selten unter Druck, gibt euch aber umgekehrt konstant das Gefühl gebraucht zu werden. Punkten konnte Spider-Man bei mir auch mit seiner menschlichen Komponente: Er fährt in voller Montur mit der U-Bahn, lässt sich bereitwillig auf Selfies ein, spielt mit seinem Smartphone herum oder versucht Ordnung in sein Liebesleben zu bringen.

Während ich mit so dichter und stimmiger Atmosphäre nicht unbedingt gerechnet hatte, lag ich mit meiner Einschätzung in Sachen Gameplay goldrichtig. Marvel’s Spider-Man ist für mich der Inbegriff eines Action-Adventures mit Filmlizenz und wagt sich entsprechend kaum in neue Dimensionen vor. Nein, eher im Gegenteil. Nicht nur die Macher der Arkham-Spiele dürften sich bisweilen an ihre eigenen Werke erinnert fühlen, selbst die (schlechten) direkten Vorgänger haben spielerisch nicht viel anders gemacht. Der Protagonist schwingt sich durch die Stadt, prügelt seinen Widersachern die kriminelle Energie aus dem Leib und kümmert sich dann und wann um die Superschurken. Mir weht also kein frischer Wind durchs Haar, dennoch verspüre ich nicht den Drang das Spiel dafür zu kritisieren. Denn, meine Güte, wie unfassbar gut ist das bitte alles inszeniert?! Die Kämpfe sind wuchtig und brutal, werden durch Griffe, Würfe, Schläge und unterschiedlichste Gadgets bereichert und verfeinert. Ihr könnt Gegner entwaffnen, bewegungsunfähig machen, durch die Luft schleudern und kontert nahezu jede Attacke auf akrobatische Art und Weise aus. Es gibt kleinere Minispiele, Stealth-Missionen und die Übergänge von Kampagne zu Erkundung oder von einer Zwischensequenz zum Spiel sind dynamisch und flüssig. Geglückt ist den Entwicklern auch das Missionsdesign. Die Motivation ist hoch und man hat jeden Tag Lust auf ein paar neue Aufgaben.



Die Charakterentwicklung, obwohl mir Spider-Man schon recht fertig erschien, wird von Insomniac ebenfalls in den Fokus gerückt. Detaillierter als ich erwartet hatte und in meinen Augen ausgezeichnet gelungen. Nicht nur, dass man die Qual der Wahl aus zig verschiedenen Kampfanzügen hat, jedes Outfit schaltet neue Spezialfähigkeiten frei. In Kombination mit den ebenfalls freischaltbaren Perks und Gadget-Upgrades, kann man sich einen ziemlich individuellen Spinnenmann zusammenbauen. Ihr entscheidet, ob ihr in die Defensive oder die Offensive investiert, kleine Drohnen oder Elektroschocks als Helfer einsetzen wollt oder eine geschärfte Wahrnehmung bevorzugt. Erneut greifen alle Räder ineinander, es fühlt sich alles ziemlich gut an.

Ich muss gestehen, dass das bodenständige Abenteuer zunächst den Skeptiker in mir auf den Plan gerufen hat. Am Ende jedoch, bin ich zügiger als gedacht der Qualität und hervorragenden Spielbarkeit erlegen – trotz einiger Ungereimtheiten. Das wären zum einen die bereits erwähnten Stealth-Abschnitte, bei denen man andere Figuren steuert und ungesehen von A nach B gelangen muss. Nett. Aber Fahrt nimmt das Ganze nicht auf. Zum anderen wäre da die KI der feindlichen Streitkräfte, die vermutlich wenig Rechenleistung in Anspruch nimmt. Keine Taktik, keine Abwechslung, eher schwer bewaffnetes Kanonenfutter, das allenfalls durch Überzahlsituationen gelegentlich siegreich aus der Schlacht hervorgeht. Passiert das, hat man entweder gepennt und nicht wie irre die O-Taste genutzt – Ausweichen, Kontern, Hechtrolle – oder Kamera und auto-aim haben einen im Stich gelassen. Das kommt vor. In Summe war mir das bisweilen fast ein wenig zu viel, so dass ich zum 'gut' greifen wollte. Aber mal ehrlich: Selten hat man so tadellos inszenierte Spiele vor der Brust, die so unterhaltsam und wertig programmiert sind. Der sympathische Held, das schicke NYC, die heftigen Faustkämpfe, die packende Story (mit fulminantem Finale) und die vielen Einstellungsmöglichkeiten haben sich in Summe die (knappe) Bestnote verdient.


★★★★★★     (sehr gut)

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Genre: Action-Adventure
Entwickler: Insomniac Games
Publisher: Sony Interactive Entertainment

Release: September 2018
getestet: März 2019 // PlayStation 4 // digital // Englisch