Detroit : Become Human


Ego cogito, ergo sum


Diszipliniert, stark, kultiviert, effektiv, wunderschön – ich würde glatt als Androide durchgehen. Humanoide Roboter, also nach menschlichem Vorbild gebaut, die verschiedene Einsatzzwecke haben. Im Jahr 2038 sind jene Maschinenwesen ein fester Bestandteil der Gesellschaft. Sie erledigen die Hausarbeit, gehen einfachen Jobs nach und machen dem Menschen das Leben leichter. Umgekehrt jedoch, führt die enorme Leistungsfähigkeit der Androiden zu hoher Arbeitslosigkeit und längst nicht jeder kann sich diese Form der Hilfe leisten. Der technische Fortschritt bringt neue Probleme, sorgt für Kontroversen und Konflikte. Was sind Emotionen, was ist intelligentes Leben? Können Maschinen fühlen? Und falls ja, wird der Mensch dies akzeptieren können?

Ich übernehme die Rolle von Connor, einem Prototyp für Polizeiarbeit, der einem in Schieflage geratenen Lieutenant zur Seite gestellt wird. Ich kontrolliere aber auch AX400, einen Haushalts-Androiden namens Kara. Und Markus, der in seinem schönen Zuhause dem Beruf eines Pflegers nachgeht. Drei Protagonisten, die gegensätzlicher fast nicht sein könnten. In kurzen Episoden, wobei euer Alter Ego stets wechselt, seht ihr euch mit verschiedenen Themen konfrontiert und macht entsprechend ganz unterschiedliche Erfahrungen. Häusliche Gewalt, Flucht, Identität und Missbrauch sind zentrale Elemente des Spiels, das reif, erwachsen und seriös damit umgeht. Laufend müsst ihr z. T. schwerwiegende Entscheidungen treffen, die nicht nur den Ausgang des jeweiligen Kapitels, sondern den der ganzen Geschichte beeinflussen. Was geschieht, wenn die Androiden zum Leben erwachen, liegt in eurer Hand.



Detroit ist kein klassischer Titel. Obwohl das Gameplay an sich simpel ist, wirkt es anfangs etwas befremdlich. Man kann sich nur eingeschränkt bewegen und viele Aktionen werden detailliert mit den Analogsticks ausgeführt. So öffnet man Türen, hebt Dinge auf, blättert in Magazinen und widmet sich Kleinigkeiten, die bei anderen Spielen mit einem Knopfdruck erledigt wären. Quick-Time-Events werden verstärkt und häufig genutzt, außerdem Haltebewegungen, bei denen man erst eine Taste, dann eine zweite und zuletzt den kompletten Controller bewegen muss. Zum Großteil intuitiv, dennoch gewöhnungsbedürftig; insbesondere die ruckartigen Bewegungen hätte man sich gerne sparen können. Auch davon abgesehen ist Detroit nicht alltäglich, da es mit seinen komplexen Dialogen, der interessanten Kameraführung, dem Fokus auf der Handlung und dem grundsätzlich ruhigen Spieltempo wie eine Art Hybrid zwischen Telespiel und Kinofilm wirkt. Es passt in keine Schublade, was mir schon bei den Vorgängern aus dem Hause Quantic Dream imponiert hat. Stärker als üblich wird die emotionale Ebene angesprochen. Eine mitreißende Erfahrung, intelligent, packend, eindringlich und aufregend.

Und irgendwie auch ein bisschen steif. Die meisten Areale sind ziemlich klein und die Protagonisten bewegen sich allesamt tatsächlich wie Roboter. Nicht immer ist Become Human so elegant, wie es eigentlich sein möchte. Im fortschreitenden Spielverlauf fällt außerdem auf, dass man außerhalb der Dialoge gar nicht so immens viele Freiheiten genießt. Natürlich lassen sich Probleme offensiv oder defensiv lösen, aber ich kann nicht dorthin laufen, wo ich hin will und öffnen lassen sich nur diejenigen Türen, die Quantic Dream dafür vorgesehen hat. Überaus interessant wird es, wenn entweder ein Timer zu ticken beginnt oder sich die QTEs zuspitzen. Denn dann kommt es plötzlich massiv auf euer Reaktionsvermögen an. Wer nicht die richtigen Tasten trifft oder den richtigen Weg findet, der scheitert an einigen Aufgaben, was bei diesem Spiel weitreichende Konsequenzen hat – durchaus auch den Tod einer Figur. Rückgängig machen kann man jedoch nichts. Der Druck ist also gewaltig. Mein Herz beginnt zu rasen, meine Augen sind weit aufgerissen und beim ersten Durchgang habe ich nicht alles so gelöst, wie ich es lösen wollte.



Technisch legt Detroit vor allem Wert auf Mimik und Körpersprache, was die Figuren lebensecht und real wirken lässt. Die abwechslungsreichen Schauplätze sind großartig ausgeleuchtet und die englische Synchronisation ist überragend. Auf ein HUD wurde komplett verzichtet und nur die nicht immer großartigen Texturen geben Anlass zur Kritik. Nach jedem Kapitel bekommt ihr in einer Art Flowchart aufgezeigt, welche Entscheidungen zu welchem Ergebnis geführt haben. Nicht nur, dass man dies mit dem Rest der Welt vergleichen kann, nein, schnell wird klar, wie der Schmetterlingseffekt funktioniert und das ein zweiter Durchgang sich lohnen könnte. Ich habe versucht stets instinktiv zu agieren. Bei Kara gelang mir das recht gut. Sie kümmert sich um ein kleines Mädchen und versucht verzweifelt aus der Stadt zu entkommen. Man hört auf sein Herz. Markus macht es einem schwieriger. Wird es eine Revolution geben? Er muss abwägen, ob Frieden oder Gewalt in seiner Natur liegen, wen er mit seinen Entscheidungen verärgert und ob er sein eigenes Leben über die Sache stellt, für die er kämpft. Mit Connor verändert sich dann alles. Er bringt euch aktiv in die Rolle von Jäger und Gejagtem, bei ihm sind freier Wille und Gehorsam stark miteinander verwoben. Ihr untersucht Orte des Verbrechens, rekonstruiert Morde und analysiert Beweise. Wirklich beeindruckend ist jedoch, dass ich tatsächlich irgendwann Connors Motivation hinterfragt habe – und somit auch meine eigene. Ein recht ungewöhnliches Gefühl.

Quantic Dream hat es erneut geschafft, mich zu inspirieren. Ich denke über Detroit nach, über Ursache, Wirkung und meine Rolle in diesem Gefüge. Mir fällt kein Genre für das Spiel ein, das von negativen Stimmen oft als Film beschimpft wird. Das ist Quatsch. Zwar kann man nicht springen, schießen oder schleichen, hat keine Sammelobjekte oder Endgegner, aber das kümmert mich nicht. Die Charaktere entwickeln sich in eurem Kopf weiter, nicht anhand irgendwelcher Statuswerte. Eben weil es anders sein will und absolut anders ist, gefällt es mir so gut. Dystopisch, philosophisch, hochwertig. Bisweilen etwas trocken, möglicherweise etwas eingeschränkt, dafür mit starkem Thema und großartiger Story.


★★★★★     (gut)

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Genre: Sonstiges
Entwickler: Quantic Dream
Publisher: Sony Interactive Entertainment

Release: Mai 2018
getestet: April 2019 // PlayStation 4 // digital // Englisch