Horizon : Forbidden West


Mensch-Maschine


Wie Gespenster huschen Sie durch das Schwarz der Nacht. Die Lichter der Maschinen. Unerbittlich patrouillieren die Ungeheuer aus Stahl und Draht, Rohren und Leitungen in Wäldern und auf Bergen, sogar unter Wasser. Nicht nur in der Dunkelheit, auch am helllichten Tag. Man gewöhnt sich nie ganz an diesen Anblick, nie ganz an die Gefahr; immer präsent. Denn auch wenn sie zunächst in sanftem Blau leuchten, schon das kleinste Geräusch versetzt die Apparaturen in Alarmbereitschaft. Rot. Wer jetzt keine Möglichkeit zur Flucht hat, der stirbt. Dabei waren die schwergepanzerten Geschöpfe einstmals im Dienste für die Menschen konzipiert. Jetzt sind sie tödliche Bedrohungen, unüberwindbare Hindernisse, ein gefährliches Mysterium.



Eine faszinierende Welt: Die Menschheit hat sich vor Jahrhunderten selbst vollständig ausgelöscht. Jedoch hat man einen Weg gefunden, der einen Neustart ermöglichen kann. Seitdem ist viel Zeit vergangen. Die Natur hat sich erholt und das Vermächtnis einst goldener Zeiten ist unter Gräsern und Moos in Vergessenheit geraten. Geblieben sind nur wenige Überreste der Zivilisation. Häuser stehen nicht mehr, es gibt nur noch Ruinen, allesamt hohl und leer. Autowracks hier und da, Spuren der letzten Schlacht. Wie die Welt einst war, lässt sich bloß noch erahnen. Alles auf Anfang, weil künstliche Intelligenzen und Programme außer Kontrolle geraten sind, weil Fehler nicht mehr umgekehrt werden konnten. Der Untergang war unausweichlich. Und auch bei besagtem Neustart ist einiges schiefgelaufen, so dass die oben genannten Maschinen eben nicht mehr das tun, wofür sie konzipiert wurden. Primitive Stämme bevölkern nun die Welt. Siedlungen anstelle von Städten, Trampelpfade anstelle von Straßen. Mitten in dieser Welt übernehmen wir die Rolle von Aloy, der Protagonistin mit flammend rotem Haar und einem Focus am Ohr. Nur ein kleiner Computer und doch ihre vielleicht stärkste Waffe – obwohl sie Kampfbogen und Lanze, Boltblaster und Ropecaster ebenso gekonnt wie tödlich bedient. Denn der Focus kann mehr: Mit ihm lässt sich das Wissen der Vergangenheit verstehen und entschlüsseln. Denn auch wenn es auf den ersten Blick nicht so aussieht, die Welt von Horizon ist immer noch voll digitalisiert. So öffnet Aloy Türen, programmiert Dinge um, sieht und hört Unsichtbares. Wissen also, das allen anderen verborgen bleibt. Dafür wird sie verehrt und gefürchtet, zur Heldin, wenn man so will. Diese Rolle füllt sie zwar eher unfreiwillig aus, dann aber doch konsequent. Sie findet Verbündete, sie kämpft, jagt, sucht nach Lösungen und hilft dort, wo sie gebraucht wird. Oft etwas zynisch, meist leidenschaftlich, nicht immer empathisch und stets zur Perfektion verdammt.

Das ist ganz logisch, denn Fehltritte enden in der Welt von Horizon oft tödlich. Gerät man ins Kreuzfeuer eines feindlichen Stammes, braucht es die entsprechende Antwort. Gleiches gilt für die Jagd, vor allem gegen die größeren Maschinen, die ohne Rücksicht auf Verluste Gewicht, Feuerkraft und Panzerung gegen euch einsetzen. Groß wie Dinosaurier, agil und anfangs nahezu unberechenbar. Doch Aloy ist eine phänomenale Kriegerin, ein Multitalent. Geschickt und lernfähig, akrobatisch und schnell. Sie findet im Spielverlauf neue Waffen, verbessert diese mit passenden Ressourcen und kann dank des Focus die Schwachstellen der Maschinen ausfindig machen. Man kann die Giganten am Boden festpinnen, mit Säure die metallische Außenhülle korrodieren, sie in Brand stecken oder in eine Schockstarre versetzen. Im Nahkampf hilft die Lanze, aus der Ferne tun es gefährliche Shredder-Geschosse und natürlich könnt ihr allerlei Fallen aufstellen. Ich selbst habe Aloy dank des wunderbaren Skilltrees und den feinen Kampfbögen zu einer Fernkämpferin gemacht, die unermüdlich auf die wunden Punkte der Maschinen feuert und ihnen damit gewaltigen Schaden zufügt. Anfangs immer um eine Deckung bemüht, wird diese je nach Widersacher aber häufig einfach plattgewalzt und vor allem gegen Stormbird, Dreadwing, Tremortusk und Co. sind die Schlachten ausdauernd und fordernd. Egal wie gut vorbereitet man auch ist, Heilpflanzen sollte man immer im Gepäck haben.



Pflanzen und Zutaten aller Art findet ihr zu Hauf und ganz nebenbei, während ihr die riesige Karte erkundet und dabei immer wieder auf neue Geheimnisse und Aufgaben stoßt. Aufgrund ihrer überragenden Fähigkeiten und Hilfsbereitschaft wird Aloy immer wieder auf (vermeintlich) wichtige Missionen geschickt, die unterschiedlich lang und fordernd sind. Zu tun gibt es eine ganze Menge. Horizon ist erneut unheimlich groß, ziemlich komplex, dabei aber immer wunderbar motivierend. Die Charakterentwicklung läuft geschmeidig und unaufdringlich nebenher, das Menü funktioniert einwandfrei und Guerrilla Games findet immer die perfekte Balance. Forbidden West ist vielschichtig, aber nicht überfrachtet, intuitiv und abwechslungsreich. Der Spieler gibt Tempo und Reihenfolge weitestgehend selbst vor, ohne dass die Dynamik verlorengeht. Setting und Atmosphäre sind absolut am Limit und alle Räder greifen ineinander. Forbidden West ist ein detailverliebter, glaubwürdiger und in allen Belangen beeindruckender Nachfolger geworden.

Eine bizarre Welt, die durch viele interessante Charaktere bereichert wird und eine spannende Geschichte erzählt. Jagd und Kampf machen großen Spaß, ebenso die Erkundung. All das erlebt man in einer unfassbaren Optik. Ungläubig bestaune ich (immer wieder) den Himmel und die Pflanzenwelt, blicke minutenlang hinaus aufs Meer. Farben, Weitsicht, Texturen und das überragende Spiel von Licht und Schatten. Ganz gleich ob eine Blumenwiese in warmes Sonnenlicht getaucht wird, Berge im Schnee versinken oder Aloy in einem grotesk-kühlen Cauldron unterwegs ist – die so aussehen, als wäre man im Bauch einer Maschine unterwegs. Es ist perfekt und wird durch tolle Zwischensequenzen, famosen Sound, brachiale Effekte und lebendige Dialoge abgerundet. Makellos? Naja, man hätte den Aufbau der Basis komplexer gestalten können und der Plot-Twist ist auch etwas drüber, aber davon mal abgesehen bin ich auch nach über 75 Stunden einfach nur voll des Lobes, begeistert und fühle mich immer noch wie weggefegt. Ein wunderschönes, vielseitiges Meisterwerk.


★★★★★★     (sehr gut)

________________________________________________
Genre: Action-Adventure
Entwickler: Guerrilla Games
Publisher: Sony Interactive Entertainment

Release: Februar 2022
getestet: Oktober 2022 // PlayStation 5 // digital // Englisch