God of War : Ragnarök


„What gets bigger the more you take away?“


Am Ende überwältigt. Begeistert, gerührt, wütend, traurig, hoffnungsvoll. Ein wahrer Cocktail aus Emotionen, der mich nach dem Abspann mit einer üppigen Leere alleine zurückgelassen hat. Das kann sich nicht jedes Telespiel auf die Fahne schreiben, doch God of War ist gereift, wurde mit viel Hingabe und Vermögen stetig weiterentwickelt und hat den Pfad des simplen Action-Adventures lange verlassen. Dabei aber nie seine Wurzeln vergessen, nie die Dynamik und Energie aus den Augen verloren, sondern auch hier Fortschritte gemacht. Vor allem die Charakterentwicklung, die Art der Dialoge und Konfrontationen, die angesprochene Gefühlsebene – und selbstredend auch die audiovisuelle Umsetzung von Ragnarök – sind entscheidend, um das Abenteuer auf ein anderes Level zu heben. Schlicht ein Meisterwerk.

Klar geworden ist mir das beim nun mehr fünften Hauptteil der Serie allerdings erst nach einigen Spielstunden. Der Beginn war überraschend zäh und daher nicht ganz einfach zu spielen, wirkte gedrungen und simpel. Ich war mir einige Stunden lang entsprechend nicht sicher, ob der Titel an den wunderbaren Vorgänger anknüpfen könne. Glücklicherweise lag ich falsch. Atreus ist gewachsen, Kratos hat weitere Falten bekommen, alte Allianzen liegen in Scherben. Vater und Sohn leben nach den Ereignissen in Jötunheim ein zurückgezogenes, einfaches Leben. Trainingseinheiten dominieren den Alltag. Am strengen und kühlen Verhältnis zwischen den beiden hat sich wenig verändert, doch der junge Atreus verdient sich langsam aber sicher den Respekt des alternden Kriegsgottes. Ragnarök beginnt dann ziemlich heftig und imposant mit dem Besuch einer ganz anderen Urgewalt. Begleitet von Blitz, Donner und einer großen Flasche Met landet Thor in Midgard und nur Augenblicke später offenbart sich auch der nordische Göttervater Odin höchstselbst. Friedlich geht die Gruppe allerdings nicht auseinander.



Nochmals ein Kompliment an Santa Monica Studio, die mit dem Neustart in der nordischen Mythologie, nach drei Teilen im alten Griechenland, einen waschechten Kunstgriff gelandet haben. Eine großartige Transferleistung, was der eindrucksvolle Beginn von God of War nochmal deutlich macht. Spielerisch ist man sich trotz einiger z. T. elementarer Veränderungen dabei treu geblieben, wobei im Vergleich zum direkten Vorgänger diesmal nur wenige Neuerungen ihren Weg ins Spiel gefunden haben. Ich kann allerdings hervorragend damit leben, dass Kratos weiterhin aus der 3rd-Person-Ansicht gesteuert wird, Atreus auf Knopfdruck ins Kampfgeschehen eingreift und der God of War nicht mit zehn neuen Waffen hantiert, sondern weiterhin nur seine unnachahmlich wuchtige Axt bzw. die chaotisch-tödlichen Chaosklingen schwingt. Ragnarök hält stets eine gute Balance zwischen Action und Adventure, oft ist der Weg das Ziel und die Gefechte scheinen einen bisweilen fast aufzuhalten, dabei liegt in den brachialen Auseinandersetzungen ein großer Teil der Magie des Titels. Wie ein rasender Derwisch drischt Kratos auf seine Gegner ein, prügelt sämtliche Widersacher kompromisslos ins Jenseits. Man spürt seine Wut, diese unbändige Kraft, in jedem Hieb und bei jedem blutigen Finisher. Ein Button-Masher ist God of War allerdings nicht. Zahlreiche Upgrades rücken auf Wunsch gänzlich unterschiedliche Strategien in den Fokus, ihr könnt verteidigend-defensiv oder angriffslustig-offensiv agieren, flächendeckend austeilen oder gezielt nur einen Kontrahenten attackieren. Wie genau Kratos kämpft ist somit euch überlassen und das Feintuning bei Ausrüstung und im Skilltree motiviert, gestaltet die Kämpfe unterhaltsam und abwechslungsreich. Fordernd ohnehin, was dem Spiel ausgezeichnet zu Gesicht steht. Nicht vergessen wollen wir natürlich auch die deutlich epischer angelegten Bosskämpfe, die mal wieder ein echtes Highlight sind.



Der Adventure-Part hat sich wiederum seit dem Weggang aus Griechenland deutlich verändert. Midgard steht euch grundsätzlich offen und ihr könnt völlig non-linear die Welt erkunden, Sidequests nachgehen oder Materialien sammeln. Open-World ist dennoch keine Vokabel die voll und ganz auf Ragnarök passt, dafür sind einige der sieben Realms dann doch zu klein und die Möglichkeiten zu limitiert. Für mich ist das ohnehin der größte Schwachpunkt des Abenteuers, da man sich viel zu oft über kurvige und schmale Wege schlängeln muss. Immer wieder wird durch versteckte Truhen und kleinere Rätsel der Spielfluss ausgebremst. Es wirkt wenig authentisch, was witzigerweise von euren Mitreisenden auch so kommentiert wird, wenn sich Kratos während einer Mission primär damit befasst, wie er Truhe X oder Y öffnen kann. Und wie gesagt: Die Wege sind oft eng, überraschend kurz und gedrungener, als sie sein sollten.

Wo kein Kläger, da kein Richter. Und ich bin ganz weit von einer Klage entfernt. Vom (fast) ersten Moment an baut sich bei God of War eine unglaublich dichte Atmosphäre auf. Ihr seid (fast) nie allein unterwegs und erlebt die Geschichte nicht nur mit anderen Figuren an eurer Seite, sondern nehmt auch andere Perspektiven ein. Man wird zu einem Teil dieser aufregenden Welt. Tiefgründige und faszinierende Charaktere und Geschöpfe, ein absolut mitreißender und eindrucksvoll inszenierter Plot mit großen und kleinen Konflikten. Gespickt von unfassbar vielen Dialogen und Kommentaren, angetrieben von Emotionen und reif und erwachsen präsentiert sich Ragnarök. Man kann vollkommen eintauchen in dieses brutale Abenteuer, aufgehen sowohl in seinem Setting und seiner Stimmung, als auch in seiner Komplexität oder den furiosen Kämpfen. Optisch und akustisch ganz und gar traumhaft gestaltet, mit oft phänomenalem Ausblick, hervorragender Ausleuchtung, Weitsicht und detaillierten Landschaften und Schauplätzen. Ich verzeihe dem Spiel von Herzen gerne das nicht perfekte Leveldesign und das Kratos aus irgendeinem Grund nicht komplett entfesselt wirkt. Es sind, gemessen an dem was Ragnarök bietet, marginale Kritikpunkte, die von einem berauschenden Gefühl des Glücks einfach überflügelt werden.


★★★★★★     (sehr gut)

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Genre: Action-Adventure
Entwickler: Santa Monica Studio
Publisher: Sony Interactive Entertainment

Release: November 2022
getestet: Januar 2024 // PlayStation 5 // digital // Englisch