Super Mario Odyssey


Im Körper des Feindes


Frauen. Da bereitet man im Alleingang eine Traumhochzeit vor, hüllt sein gigantisches Luftschiff in ein festliches Gewand und zwängt sich in einen stylishen weißen Anzug – und die Braut will immer noch nicht heiraten? Armer Bowser. Er hat einfach kein Glück mit seiner Peach. Zwar hat er den größten Edelstein gezockt, das feinste Essen gestohlen und für tolle Drinks und Gäste gesorgt, aber die ganze Plünderei hat sich offenbar nicht gelohnt. Zu allem Überfluss kommt zum gebrochenen Herzen auch noch eine gebrochene Nase dazu. Denn Mario ist hinter ihm her. Und der ist nicht bloß wütend, sondern stocksauer!



Endlich wieder Nintendo. Ich war lange raus. Und ich habe sie wirklich vermisst, die simplen Geschichten von Gut und Böse. Die ohne Spannungsbogen oder kausale Zusammenhänge funktionieren. Ohne viele Worte und Zwischensequenzen. Trotzdem kommt am Ende ein herzliches, atmosphärisches und unterhaltsames Abenteuer heraus. Der Fokus liegt übrigens nicht ausschließlich auf der erwähnten Hochzeit, sondern auch auf der Freundschaft zwischen Mario und Cappy. Den lernt der Protagonist zu Beginn des Spiels im Cap Kingdom kennen. Und weil Bowser dessen Schwester Tiara ebenfalls entführt hat, tun sich die beiden kurzerhand zusammen. Cappy verwandelt sich dafür in Marios Mütze – er ist schließlich ein Hut-Gespenst – und hilft euch fortan in allen Lebenslagen: Er steuert beispielsweise die (namensgebende) Odyssey, eine Art mechanischen Heißluftballon, mit dessen Hilfe ihr die ganze Welt bereist. Doch nicht nur das. Cappy lässt sich freiwillig durch die Gegend schleudern und haut nahezu jeden Bösewicht aus den Latschen. Wenn rohe Gewalt mal nicht zielführend ist, hilft er außerdem noch mit Magie, dunkler Magie. Denn Cappy bringt euch in den Körper des Feindes. Mario verwandelt sich in Frösche, Panzer oder Dinosaurier und macht sich sodann deren Fähigkeiten zu Nutze. Schon gewusst, dass ein Goomba auf Eis nicht ausrutscht? Oder wie lang sich ein Wiggler ausstrecken kann? Selbst fliegen muss kein Traum mehr bleiben, schlüpft dafür einfach in die knochige Haut eines Parabone.

Das Verwandlungs-Feature ist selbstverständlich zentraler Dreh- und Angelpunkt für das Lösen sämtlicher Aufgaben. Zwar ist der agile Klempner auch ohne Körpertausch ein echter Akrobat, der ohne Unterlass durch die Level sprintet, springt, klettert und hüpft, doch immer wieder sichtet ihr Münzen, Gegner oder gar Power Moons, die unerreichbar scheinen. Bis man sich um einen Perspektivenwechsel bemüht und plötzlich unter Wasser atmet, an aalglatten Steilwänden hochklettert oder in heißer Lava badet (ohne sich zu verbrennen). Jedes Level birgt eine unfassbare Anzahl an Geheimnissen und nur wer die komplette Bandbreite der Aktions- und Bewegungspalette nutzt, gelangt ans Ziel bzw. die kostbaren Power Moons. Auf die richtet ihr bitte euer Hauptaugenmerk, da ihr mit den Dingern die Odyssey befeuert und in Betrieb nehmt. Zum Beenden des Spiels reichen schon etwa 100 bis 150 Monde, aber Nintendo war das nicht genug. Die haben einfach mal unfassbare 999 Monde in den Welten versteckt und entsprechend umfangreich ist das Abenteuer. Dabei halten sich leichte und komplexe Aufgaben die Waage. Zahlreiche Rätsel entdeckt man quasi beiläufig und löst diese auch sofort. Nicht selten reicht das Nachjustieren der Kamera oder ein geschickter Sprung an die richtige Stelle. Natürlich sind aber auch Unmengen fordernde Geschicklichkeitspassagen mit an Bord. Genauso wie zeitbasierte Events und Endgegner. Gleich mehrfach verprügelt ihr beispielsweise die durchgedrehten Trauzeugen von Bowser und dann gibt es da ja auch immer noch die riesigen Wächter eines jeden Königreichs. Es gibt unheimlich viel zu tun, aber man wird zügig belohnt und macht schnell Fortschritte. Für die Motivation ein echter Segen. Zumal das Ganze, wie erwähnt, wirklich gut ausbalanciert wurde.



Dank der Odyssey erschließt ihr auf eurer Jagd nach Bowser immer neue Gebiete, sammelt alles ein, was euch in die Finger kommt, und reist dann weiter. Wann ihr welches Königreich besucht und welchen Missionen ihr euch zuerst widmet, ist komplett euch überlassen. Logischerweise kann es niemals schaden den unschuldigen Einwohnern zu helfen, die gelegentlich ein paar Sidequests bereithalten. Ansonsten leitet euch das Spiel dezent in die richtige Richtung, ob das nun ein Strand oder die Großstadt ist. In Sachen Design hat Nintendo jedenfalls aus dem Vollen geschöpft: urbane Gebiete, ein knallbuntes Schlaraffenland oder eine Welt aus Eis. Abwechslung gibt es genug, auch bei den Aufgaben übrigens. Selbst wenn man ohne Ziel herumläuft, stolpert man immer wieder über neue Geheimnisse. Ziemlich intelligent gemacht, denn es fühlt sich frei und ungezwungen an.

Zu den technisch imposantesten Vertretern seiner Zunft gehört Odyssey nicht, punktet aber mit herrlicher Farbpalette, plastischem 3D, viel Kreativität und der stets flüssigen Darstellung. Trotz Schwächen bei u. a. den Texturen ist das Action-Adventure ein mehr als ansehnliches Spiel mit tollem Soundtrack geworden. Die Kamera hat mir hingegen nicht nur einmal einen Strich durch die Rechnung gemacht, sondern mich mehrfach qualvoll in den Tod geschickt. Dabei ist die Steuerung, insbesondere mit den beiden Joy-Cons, überaus gelungen und intuitiv. Überhaupt scheint mir der Titel ein Paradebeispiel dafür zu sein, wie unkompliziert sich ein Telespiel anfühlen kann. Fordernd und zugänglich gleichermaßen, außerdem sympathisch und dank vieler kleiner Ideen und Einfälle absolut empfehlenswert. Spätestens nach meinem ersten Ausflug in die klassischen 2D-Welten, in denen Mario in NES-Manier von links nach rechts hüpft, war ich Feuer und Flamme. Easy to learn, hard to master. Komplex, clever und charmant. In Summe wäre ich zwar lieber etwas weniger auf die vielen Transformationen angewiesen gewesen, aber im Prinzip habe ich ansonsten nichts an dem Titel auszusetzen. Von Anfang bis Ende gibt es gewohnt gelungene Super-Mario-Atmosphäre und hochqualitatives Gameplay.


★★★★★★     (sehr gut)

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Genre: Action-Adventure
Entwickler: Nintendo EPD
Publisher: Nintendo

Release: Oktober 2017
getestet: März 2019 // Nintendo Switch // pal deutsch