Rundenbasierte Kämpfe, epische Geschichte, schick aufgebrezelte Pixelgrafik und acht Protagonisten. Die ersten Trailer und Bilder zu Octopath Traveler haben mich in höchste Verzückung versetzt. Ein bisschen fühlte ich mich sogar an Golden Sun erinnert, das ich damals auf dem Game Boy rauf und runter gespielt habe. Doch von der erwarteten Begeisterung ist nach dem Spielstart zunächst nicht viel geblieben: Die Gefechte sind eher zäh, die Geschichten sehr langatmig und die acht Protagonisten wirken eher wie eine Zweckgemeinschaft, nicht wie ein Team. Es musste erst ein bisschen Zeit vergehen, im echten Leben, aber auch im Spiel. Denn als der rechte Moment gekommen war und ich mich außerdem länger und intensiver mit Octopath Traveler befassen konnte, wurde es schlagartig besser. Viel besser.
Bevor man sich ins Abenteuer stürzen kann, hat man jedoch die Qual der Wahl. Welchen der acht Protagonisten wählt man aus? Nicht ganz einfach, da die gewählte Person bis kurz vor Ende des Spiels unveränderlich im Team bleiben wird. Wen also nehmen? Olbric, den muskulösen Ritter? Tressa, die clevere Händlerin oder Alfyn, den fürsorglichen Apotheker? Ganz klar: Ich starte mit Primrose, der sexy Tänzerin im hauchdünnen roten Kleid. Meine Heldin wehrt sich mit scharfen Dolchen und schwarzer Magie gegen ihre Häscher. Im ersten Kapitel ihrer Geschichte erfahrt ihr vom Mord an ihrem Vater, den Primrose nie überwunden hat. Sie sinnt nach Rache und nimmt die Verfolgung der Mörder auf, weshalb sie in einer Art Nachtclub untergekommen ist und Informationen sammelt. Erfolgreich. Doch die Flucht aus dem Etablissement verläuft nicht wie geplant.
Sobald das erste Kapitel abgeschlossen ist, dürft ihr die Welt erkunden und trefft nach und nach auf die sieben anderen Protagonisten, deren Geschichten dann in Rückblenden erzählt und gespielt werden können. Verrat, Verlust, Diebstahl und Freundschaft sind zentrale Themen des Titels, die recht ernst und durchaus detailliert vorgetragen werden. Immer mal wieder sind längere Dialoge vollständig und überaus hochwertig eingesprochen und die unterschiedlichen Charaktere werden eindrucksvoll vorgestellt. Erst wenn ihr das jeweilige erste Kapitel fast beendet habt, geht es gemeinsam mit der ganzen Truppe ein Stückchen weiter. Octopath Traveler nimmt sich hierfür viel Zeit, wirkte auf mich dadurch leider aber stellenweise langweilig und träge. Das raubt der Geschichte die Faszination, richtig spannend ist es selten. Square Enix ist es außerdem nicht gelungen, aus den unterschiedlichen Charakteren eine dynamische Einheit zu formen. Die Figuren harmonieren zwar im Kampf, sind aber in Sachen Geschichte ziemlich weit voneinander entfernt und wirken nicht wie ein Team oder gar Freunde. Obwohl die sehr komplex konstruierten Geschichten gerade wegen der vielen Differenzen ein spannendes Miteinander ermöglicht hätten, befassen die Entwickler sich damit leider überhaupt nicht.
Wer vor vielen Jahren mal den ein oder anderen RPG-Klassiker hat spielen können, der fühlt sich bei Octopath Traveler direkt wie zu Hause. Auf der Weltkarte marschiert man von Dorf zu Dorf, wird sehr regelmäßig von Zufallskämpfen unterbrochen und bewährt sich in Dungeons, Höhlen oder finsteren Herrenhäusern. Verwundert war ich ob der Größe jener Karte, da man binnen weniger Minuten von Ort zu Ort gelangt und es unterwegs, bis auf unnütze Schatztruhen, rein gar nichts zu entdecken gibt. Das RPG wirkt hier weder groß noch weitläufig, sondern unnatürlich beengt. Dabei ist OT eigentlich ein liebevoll gestaltetes und technisch bemerkenswertes Spiel. Die Pixelgrafik versprüht jede Menge Charme, von sich im Wind wiegenden Bäumen über glitzerndes Wasser bis hin zu zahlreichen Effekten im Kampf. Die Sprites der Figuren und Gegner sind fantasievoll ausgearbeitet, die Zaubersprüche hübsch anzuschauen und natürlich kokettiert Octopath mit einem minimalistischen, klobigen Look – das gelingt aber hervorragend. Vertont ist der Titel ebenfalls großartig.
Das übersichtliche Menü bietet euch zahlreiche Möglichkeiten, um das Team hinsichtlich Bewaffnung und Rüstung anzupassen. Ihr könnt die Aufstellung verändern und im fortschreitenden Spielverlauf neue Fähigkeiten aktivieren und freischalten, außerdem passive Fähigkeiten nutzen. Das ist alles wichtig, um in den z. T. fordernden Kämpfen das Oberwasser zu behalten. Die Gegner haben allesamt ihre Schwächen, die man nach und nach aufdeckt, andernfalls schlucken deren Schilde viele eurer Angriffe. Achtet also darauf, dass nicht alle mit einem Breitschwert angreifen, sondern sich Lanze, Dolch und Bogen irgendwie ergänzen, ebenso Feuer-, Wind- oder Eismagie. Ihr könnt Gegenstände im Kampf nutzen, euch verteidigen und außerdem die Intensität eurer Angriffe mitbestimmen. Das offenbart eine gewisse strategische Tiefe, vor allem wenn man die Schilde seiner Widersacher clever dezimieren möchte. Alles in allem ganz normale rundenbasierte RPG-Kost, aber gut umgesetzt und unterhaltsam. Nichts zu meckern, alles fein!
Nichtsdestoweniger habe ich nach etwas über 20 Stunden das Spiel abgebrochen. Dabei habe ich vermutlich gerade mal das erste Drittel beendet. Doch mir entfaltet sich Octopath Traveler zu langsam und viel zu simpel. Die eigentlich gut ausgedachten Geschichten sind am Ende des Tages eindimensional, die Interaktion im Team fehlt völlig und die Spielwelt wirkt klein und irgendwie belanglos. Und obwohl ich bisweilen aufgeregt und hellwach vor der Switch mitgefiebert habe, reicht mir das Dargebotene nicht, um weitere 60 Spielstunden zu investieren. Dazu hat es mich zu wenig berührt, dafür scheint es zu statisch, dafür sind die Dungeons zu winzig und Rätsel fehlen völlig. Schade. Ich habe es einige Monate versucht, wollte es fast erzwingen, weil Octopath Traveler irgendwie ganz toll ist, sich prima auch unterwegs (oder im Bett) spielt – selbst jetzt denke ich noch über ein knappes 'gut' nach. Aber ehrlich gesagt sind Reiz, Atmosphäre und Magie zu schnell verflogen. Was ich wahnsinnig schade finde.
________________________________________________
Genre: RPG
Entwickler: Square Enix & Acquire
Publisher: Square Enix & Nintendo
Release: Juli 2018
getestet: Januar 2022 // Nintendo Switch // pal deutsch