Red Dead Redemption 2


„Be loyal to what matters.“


Kräftig. Elegant. Ruhig und ehrlich, dann aufbrausend und progressiv, ungezähmt und düster. Mit diesen Worten möchte ich den Bourbon beschreiben, der mich häufig in die Welt von Red Dead Redemption 2 begleitet hat. In den Wilden Westen, der kurz vor einer Zeitenwende steht. Der Umbruch ist da und sie geht langsam zu Ende, die Ära von Outlaws und Schießereien, Überfällen auf Postkutschen und Schlägereien in Saloons. Doch die Beschreibung passt nicht nur auf den rotgolden schimmernden Whiskey, sondern auch auf den Protagonisten des Spiels, Arthur Morgan. Er ist die rechte Hand des charismatischen Dutch van der Linde, der seine gleichnamige Gang mit einem klaren Ziel vor Augen souverän in eine bessere Zukunft führt. Gesucht wird das ewige Glück unter freiem Himmel, immerwährende Unabhängigkeit und auch Reichtum – durch einen letzten großen Coup. Ein zweifelsfrei romantischer Ansatz, der in der Realität aber viel zu oft mit Leid und blutigen Feuergefechten endet.



Arthur übernimmt dabei stets eine wichtige Rolle. Als erfahrener Gunslinger ist er bei allen Gangmitgliedern als verlässlicher Partner gefragt und immer an vorderster Front zur Stelle. Schon im ersten Kapitel ist er es, der den schwer verwundeten John rettet, der im Tiefschnee ansonsten verendet wäre. Der anschließende Umzug bzw. die Flucht nach vorn, bringt zwar besseres Wetter mit sich, aber die Situation im Camp bleibt angespannt. Es fehlt Geld, weshalb Dutch unermüdlich Pläne ausarbeitet, die euch das Überleben sichern und eine bessere Zukunft bringen sollen. Kleinere Raubzüge gehören ebenso dazu wie Diebstahl und Betrug. Im Prinzip wälzt sich die Gang durch das ganze Spektrum an Kriminalität, teilweise in richtig großem Stil. Doch selten läuft es so, wie es ausgedacht war: Mal ist es einfach nur Pech, oft die niedrige Reizschwelle eurer Kameraden, ab und an ist es der Protagonist selbst: Dinge gehen schief, Menschen sterben und nur mit Gewehr und Revolver kann man retten, was noch zu retten ist. Immerhin. Denn die bunt gemischte Truppe gewinnt man schnell lieb, fühlt sich in der Haut von Arthur wirklich wie ein Teil dieser Familie. Alle Figuren sind detailliert ausgearbeitet, glaubwürdig und menschlich, vom starken Charles über den sorgfältigen Herrn Strauß bis zur strengen Mrs. Grimshaw. Man nimmt sich Zeit und lauscht den Geschichten und Gesprächen, freut sich über lebendige und authentische Dialoge. Mittendrin. Mit allen Sorgen, allen Qualen, aber auch Abenden am Lagerfeuer, erfolgreichen Raubzügen und unfassbarem Zusammenhalt.

Der Spieler kann dabei selbst beeinflussen, ob der verwegene Revolverheld als kaltblütiger Killer in die Geschichte eingeht oder einen freundlicheren, hilfsbereiten Weg einschlägt. Ihr bestimmt also, wie viel kommuniziert wird und auf welche Art und Weise ihr dem zynischen Outlaw Leben einhaucht. Das geht immer dann besonders gut, wenn man nicht in einer Story-Mission unterwegs ist. Zahllose Nebenschauplätze und zufällige Interaktionen mit Fremden geben euch die Möglichkeit der zu sein, der ihr sein wollt. Red Dead Redemption verführt euch ab der ersten Minute dazu, nicht Schlag auf Schlag der Story zu folgen, sondern euch anderen Dingen zu widmen. Angeln, Poker, ein Ausritt in der Abendsonne, der Besuch eines Saloons, insbesondere aber der Jagd wurde große Aufmerksamkeit geschenkt, weshalb sie zu einem wichtigen Teil des Spiels werden kann.



Für mich persönlich ist Red Dead eng mit einem Gefühl von Freiheit und Entspannung verbunden. In dieser wunderschönen Welt kann ich machen, was ich will. Ich suche nach Schätzen und sammle Kräuter, unterhalte mich mit anderen Jägern und blättere stundenlang durch die liebevoll gestalten Kataloge der Händler. Arthur altert, bekommt längere Haare und einen Bart. Was liegt da näher, als den guten Mann zu stylen und neu einzukleiden? Und dann Annie, mein Pferd. In einer schneebedeckten Landschaft habe ich sie gefunden und den Wildfang mit viel Mühe gezähmt. Danach waren wir unzertrennlich. Sie kommt angelaufen, wenn ich pfeife, dafür bekommt sie Möhren und Sellerie. Ich kümmere mich sorgfältig und stelle fest, dass ein Pferd zwar ein wortkarger, aber äußert treuer Begleiter ist.

Widme ich mich dann wieder der Story, sitze ich teilweise staunend und mit offenem Mund vor dem Fernseher und kann kaum fassen, wie filmreif diese sich entfaltet, wie stimmig Musik, Zwischensequenzen, Dialoge und Gameplay miteinander verwoben wurden. Zweifelsfrei ein Meisterwerk, Kunst, die Erfüllung aller Wild-West-Träume. RDR2 ist reif und intelligent, lebendig und glaubwürdig, emotional und spannend. Und findet eine gute Balance aus Ruhe und Action. Umso erstaunlicher sind nach knapp 100 Stunden Spielzeit die Erinnerungen an die ersten Minuten. Denn der Einstieg war zäh. Die dezent überfrachtete, leicht schwammige Steuerung, der Unterschied zwischen Truhe, Satteltasche und Beutel. Dinge, die manchmal erstaunlich kleinteilig wirken (Crafting, Waffe putzen etc.) und im Gegenzug die schnell eskalierenden Begegnungen mit einigen NPCs. Grundsätzlich möchte RDR langsam gespielt werden. Wird es hektisch, verliert es bisweilen etwas an Magie. In der Ruhe liegt die Kraft. Das vermittelt mir auch Arthur. Positiv. Nicht zuletzt deshalb kann man minutenlang einfach nur durch die atemberaubende Landschaft reiten, das Wetter genießen, den Himmel beobachten. Regen und Sonne aushalten. Um Kraft zu tanken für den nächsten heftigen Schusswechsel, das nächste Gefecht.

Ein Gedicht. Auch viele Jahre nach dem Release sieht RDR2 überragend gut aus, dank der Atmosphäre und Landschaft, der Ausleuchtung, toller Mimik und Gestik; alle Screenshots sind direkt von mir im Spiel aufgenommen worden. Überhaupt stimmt im Prinzip einfach alles. Es bedarf zwar ein bisschen Zeit sich in die komplexen Mechaniken einzuarbeiten, aber dafür bekommt man ein Action-Epos, das die Messlatte höherhängt, das berührt und begeistert. Ein Spiel, das nah dran ist am Film und nach dem Abspann ein echtes Loch in meinem Leben hinterlassen hat.


★★★★★★     (sehr gut)

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Genre: Action
Entwickler: Rockstar Studios
Publisher: Rockstar Games

Release: Oktober 2018
getestet: Januar 2023 // Xbox Series X // digital // Englisch