Halo Infinite


„She said that to me once. About being a machine.“


John. Einfach nur John. Eigentlich. Denn der gewaltige Spartan, unser Master Chief, trägt viele Namen. Demon gefällt mir am besten, denn so wurde er von den Covenant getauft. Obwohl dieser Verbund einiger außerirdischer Rassen bei Infinite nicht mehr existiert, so ist der Dämon den feindlichen Reihen weiter ein Begriff. Ein unerbittlicher Krieger und Supersoldat, der tödliche Präzision, schnelle Auffassungsgabe und militärischen Pragmatismus vereint. Sein Ruf eilt ihm voraus. Und auch in der realen Welt ist der Master Chief einstmals eine Instanz gewesen, die die Ära moderner Ego-Shooter maßgeblich geprägt hat. Mich persönlich ebenfalls. Mit einer tiefgründigen Geschichte, packender Atmosphäre, tadelloser Technik, überragender Spielbarkeit und einem magnetischen Mehrspieler war Halo lange Zeit das Maß aller Dinge. Dann kam, eingeleitet durch Teil 4 und gipfelnd in Halo 5 : Guardians, das Ende jener Ära. Das Epos hatte seinen Glanz verloren.

Nun, sechs Jahre später, verändert Entwickler 343 erneut alles. Weg ist der Staub, zurück ist die Magie, alles glänzt. Halo hat sich gewandelt, verfolgt neue Ansätze, ist moderner geworden. Aber ist unverkennbar Halo geblieben. Eine Meisterleistung, die für hohes Verständnis für die Serie spricht und mich nicht bloß überrascht, sondern begeistert und mitgerissen hat.



Als der Master Chief Zeta Halo betritt, ist die Ringwelt gerade dabei, sich selbst zu reparieren. Die Banished überrennen das gewaltige Konstrukt und unter der Führung des kompromisslosen Escharum werden die letzten Menschen in die Enge getrieben und vernichtet. Die brutal agierende Splittergruppe, z. T. aus den Covenant entstanden, will den Ring um jeden Preis unter Kontrolle bringen, denn Zeta ist kein normaler Teil des Halo Array. Ein mächtiges Geheimnis liegt hier begraben – zusammen mit Cortana. Verstehen kann man die dramatische und komplexe Geschichte ohne Vorwissen eigentlich nicht. Selbst mit Vorwissen gibt sich Halo wie immer nebulös und ist weit vom gängigen Gut gegen Böse entfernt. Mich hat es motiviert, ein bisschen über die Geschehnisse und Zusammenhänge nachzulesen. Düsterer, als die bunten Laser manchmal vermuten lassen.

Halo Infinite teilt sich grundsätzlich in zwei Bereiche: Einerseits gibt es die Oberfläche des Rings, die ihr frei erkunden könnt, und anderseits gibt es Story-Missionen, die euch bisweilen tief in die uralten Korridore von Zeta führen. Die Kombination funktioniert. Die glänzenden, klobigen Katakomben sind eng, steril und sauber. Dennoch wirken sie kolossal groß und irgendwie magisch, mit Lichtbrücken, glatten Wänden und hitzigen Kämpfen, bei denen es oft um jeden Meter geht. 343 ist der Serie hier glücklicherweise treu geblieben. Es ist jedoch das komplette Gegenteil von dem, was sich an der Oberfläche abspielt: Hier kann man die frische Luft fast spüren, während man im Razorback oder einem Ghost durch die Gegend brettert. Man erforscht die Ringwelt, übernimmt die Kontrolle von Stützpunkten, hilft eingekesselten UNSC-Einheiten, stolpert über Ausrüstung und Upgrades oder sichert in ausladenen Schlachten ganze Fabriken und Waffenlager. Wunderbar gemacht. Ihr marschiert im eigenen Tempo, könnt Verstärkung mitbringen oder alles solo in Schutt und Asche schießen. Eine feine Lernkurve und der stete Fortschritt motivieren. Zeta Halo ist faszinierend, geheimnisvoll und Stück für Stück erobert man die Welt zurück. Besonders gut gefallen hat mir der Kontrast. Erst entspannt und locker die Berglandschaft erkunden, danach mit Vollgas die High-value-Targets der Banished überfallen und ermorden. Das sind schwer bewachte Eliteeinheiten mit einzigartigen Waffen, die meist nicht ohne Strategie zu besiegen sind. Fürchtete ich anfangs noch, dass das Open-World-Konzept dem Shooter schaden würde, sind sämtliche Zweifel nun erloschen.



Das alles auf spielerisch unheimlich hohem Niveau. Die Waffen fühlen sich glaubwürdig und individuell an. Selbst die, die in Guardians noch störend wirkten. Der Enterhaken, im Vorfeld mit viel Skepsis bedacht, ist ein bedeutender Schritt nach vorn, doch auch Schubdüsen oder Schutzschild sind hervorragend ins Gameplay eingebunden worden, ebenso die Granaten. Der Master Chief klettert, fliegt, flankiert und schießt mit hoher Präzision und Agilität. Harte Faustschläge, geworfene Fusionszellen oder ein wild ratterndes Warthog-Maschinengewehr. Alles Dinge, die Neulinge überzeugen sollen und bei denen Veteranen das Herz aufgeht. Denn Infinite schafft es, Stil und Stimmung von Halo einzufangen, hat sich aber ganz eindeutig weiterbewegt. Die Grunts dürfen beispielsweise immer noch witzig sein, wirken aber nicht albern. Und obwohl die erwähnten Laser oft bunt sind, ist das Spiel insgesamt strenger und erwachsener geworden. Das gefällt mir. Halo ist umfangreich, aber es erschlägt euch nicht mit Aufgaben. Außerdem ist es in prächtiger High-End-Grafik verpackt, grandios vertont und mit tollen Dialogen bedacht worden. Dazu der variable Schwierigkeitsgrad, charismatische Widersacher, das bemerkenswerte Treffer-Feedback und die hervorragende Atmosphäre.

Mit an Bord ist selbstredend auch ein Mehrspieler. Unverzichtbar. Mich hat damals Halo 2 in die Xbox-Live-Mitgliedschaft getrieben und ich bin froh, dass diese immer noch läuft. Infinite macht zwar einige Dinge anders als die beliebten Vorgänger und hier und da hakt es noch ein wenig (F2P, Battle Pass), aber ich hätte nicht verzichten wollen. Ein klassischer, intensiver Arena-Shooter, bei dem es in bodenständigen Spielmodi unkompliziert und heftig zur Sache geht. Tolle Karten, wechselnde Events und Belohnungen, Big Team Battles und mögliche Individualisierungen machen Laune, der Funke ist aber trotz allem bei mir noch nicht gänzlich übergesprungen. Doch ich bin sicher, das wird. Voll und ganz übergesprungen ist der Funke aber insgesamt. Halo Infinite ist die fulminante Rückkehr des Master Chief. Mit einer Kampagne, die mich von Anfang an regelrecht begeistert hat, die mich über den Abspann hinaus beschäftigt und mit der ich irgendwie auch noch nicht abgeschlossen habe. Das überraschende Jahr zusätzliche Entwicklungszeit hat mich zwar geärgert, aber es hat sich gelohnt.


★★★★★★     (sehr gut)

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Genre: Ego-Shooter
Entwickler: 343 Industries
Publisher: Xbox Game Studios

Release: Dezember 2021
getestet: Januar 2022 // Xbox Series X // digital // Englisch