Ryse : Son of Rome


Blutig, bildschön, beschränkt


Es klingt wie die Momentaufnahme aus einem schwulen Swingerclub: Ein Keller voller nahezu unbekleideter Männer. Überall Metall, Ketten und Käfige. Der Geruch von Schweiß und Leder liegt in der Luft, es wird gestöhnt und wohin man auch blickt, sieht man kräftige Arme und breite Schultern. Doch niemand ist zum Vergnügen hier. Der Keller ist ein Verlies und womöglich das Letzte, was die Männer in ihrem Leben sehen werden. Hier gibt es nur einen Ausgang. Eine steinerne, steile Treppe, die euch direkt ins Herz des Kolosseums führt. Und dort wird man nicht zum Helden, dort stirbt man.

Wenn sich die vergitterten Türen öffnen, schlägt den Männern tosender Applaus entgegen. Hastig suchen sie nach Waffen, einem taktischen Vorteil. Sie machen sich Mut, trommeln mit Schwertern auf ihre Schilde und versuchen sich auf die bevorstehende Schlacht vorzubereiten. Im Hintergrund dröhnt die Stimme des Unterhalters durch die Menge, der Gewalt, Kampf und Tod verspricht. Dann geht eine weitere Tür auf. Ihr seid nun an der Reihe, euer Gladiator betritt die Arena. Von unbändigem Willen getrieben, den Hass ins Gesicht gebrannt, wehrt ihr die heranstürmenden Männer ab. Auch sie scheinen wie besessen. Doch eure Klinge ist schärfer, eure Reflexe schneller, der Geist wacher und euer Schild mächtiger. Einen nach dem anderen metzelt ihr nieder, ganze Gruppen fallen euch zum Opfer und werden qualvoll durch eure Hand vernichtet. Die Gesetze der Arena sind grausam, die Toten zahlreich und es ist bedeutungslos, wie viel Blut vergossen wird, denn das Kolosseum will etwas geboten bekommen.



Genau darum geht es im Mehrspieler bei Ryse, um den Ruhm der Arena, die Gunst des Publikums. Euch zur Seite gestellt ist ein weiterer menschlicher Spieler und gemeinsam muss man verschiedene Angriffswellen überstehen. Das Kolosseum ändert dafür ständig sein Erscheinungsbild, hält Sandstürme und Waldlandschaften für euch parat oder sogar ein Schiff, das geentert werden muss. Stachelfallen tauchen auf, weitere Feinde betreten das Schlachtfeld und schwere Kriegsmaschinerie macht euch zusätzlich das Leben schwer. Eine gekonnte Hinrichtung ist oft der Schlüssel zum Sieg, genau wie im Einzelspieler. Denn die füllt euren Fokusbalken und bedeutet den sicheren Tod für den Widersacher, verschafft euch dadurch ein wenig Luft und Zeit. Achtung: Für zartbesaitete Telespieler sind abgetrennte Arme, aufgeschlitzte Bäuche und das Durchstoßen des Halses möglicherweise zu viel des Guten. Ryse ist rohe Gewalt, die hervorragend in das Szenario passt und weder übertrieben noch geschmacklos ist, jedoch überaus erbarmungslos. Hinrichten kann man jeden der unterschiedlichen Gegner, sofern man diesem im Vorfeld ausreichend Schaden zugefügt hat. Das Ganze passiert dann in einer Art Quick-Time-Event. Die Kämpfe fordern euch und eure Reflexe, verlangen gekonntes Parieren von Angriffen mit dem Schild und natürlich auch den flinken Rückzug via Hechtrolle. Meist habt ihr es direkt mit mehreren Gegner zu tun, müsst rasch euer Ziel wechseln und den Kombozähler nach oben treiben. Wenn euch das Kolosseum nicht zermürbt, euch die Gegner nicht überrennen, dann verlasst ihr die Wettkampfstätte als gefeierter Held. Mit dem verdienten Gold kauf man neue Rüstungsteile, hübscht sich auf und wird anschließend vermutlich erneut sein Leben riskieren.



Im Einzelspieler erzählt Son of Rome die Geschichte von Marius, einem loyalen Krieger des Kaisers, der in diversen Schlachten seinen Mut beweist. Obwohl man nicht viele Worte zur Beschreibung des Titels braucht und Ryse ordentlich Kritik geerntet hat, hat mir die Geschichte wirklich gut gefallen. Überragende Zwischensequenzen, feine Dialoge und abwechslungsreiche Szenarien hauchen dem Plot das nötige Leben ein. Etwas kurz ist es und leider nach ca. sechs Stunden vorbei, dafür gibt es keine Längen. Cryteks Abenteuer fesselt von Anfang bis Ende, ist dabei recht geradlinig, was aber nicht zu Lasten des Spielspaßes geht. So muss Marius zwar stumpf immer eine bestimmte Anzahl an Gegnern besiegen, um weiterzukommen, das Kombinieren von Hieben, Tritten und Hinrichtungen ist allerdings gelungen. Aufgelockert wird das Treiben durch Kurzeinsätze an der Balliste oder das Vorrücken in Schildkrötenformation. Gemeinsam mit eurer Legion trotzt ihr so beispielsweise den tödlichen Pfeilhageln der Barbaren. Unglücklicherweise mangelt es an Optionen, ist nicht wirklich variabel genug und damit etwas simpel. Umgekehrt ist es schön, dass Ryse schnell zu erlernen ist und direkt funktioniert. Das macht die Makel stellenweise vergessen. Die reduzierte Tastenbelegung ist sogar fast ein wenig erfrischend, das Fehlen von Rätsel- und Geschicklichkeitspassagen allerdings eher nicht. Es ist ein bodenständiges Hack-and-Slay-Action-Feuerwerk, kraftvoll und wild, arm jedoch an Abwechslung. Dies betrifft neben den Waffen leider auch die Gegner.

Was Ryse : Son of Rome in Sachen Umfang nicht bieten kann, legt es bei der Präsentation locker oben drauf. Der Starttitel der neuen Xbox setzt Maßstäbe in Sachen Gesichtsanimationen und ist ein Augenschmaus par excellence. Fantastische Effekte, grandiose Texturen, herausragende Atmosphäre und ein Gesamtbild, bei dem man mit der Zunge schnalzt. Dazu donnert der Sound regelrecht aus der Heimkino-Anlage und schon weiß man, wo der Fokus bei der Entwicklung lag. Und das ist okay. Die Kritik verstehe ich entsprechend nur bedingt. Es ist ein einfach gestricktes Actionspiel in einem unfassbar schönen Kostüm. Wer das vor dem Kauf beachtet, der hat mit den hartnäckigen Widersachern garantiert jede Menge Spaß. Interessantes Setting, einfacher Einstieg, unterhaltsame Geschichte und martialisches Gameplay. Passt. Was übrigens nicht heißt, dass man sich blenden lassen soll: Mit etwas mehr Aufwand hätte etwas deutlich Größeres aus Ryse werden können. Episch vermutlich. Das hat Crytek verpasst. Trotzdem sind wir besser einfach mal froh, dass man sich gegen Kinect entschieden hat. Denn, falls ihr es vergessen habt, es war mal als reiner Kinect-Titel geplant. Gruselig.


★★★★★     (gut)

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Genre: Action
Entwickler: Crytek
Publisher: Microsoft Studios

Release: November 2013
getestet: Januar 2014 // Xbox One // pal deutsch