Thief


Schattendasein


Mein letzter Diebstahl liegt noch gar nicht lange zurück: Einem schlecht organisierten DM-Team habe ich es zu verdanken, dass ich mit einem unbezahlten (bereits gescannten) Einkauf den Laden verlassen konnte. Mit heftig pochendem Herzen und schwitzigen Händen. Die Flucht mit Rasierschaum und Deo ist mir zwar gelungen wie einem echten Profi, abgesehen von solch zufälligen Raubzügen habe ich für diebisches Gesindel aber nur tiefe Verachtung übrig. In gewisser Weise sorgt Thief nun für einen Paradigmenwechsel, denn Erfolg hat man hier nur als wahrer Meisterdieb. In der Haut von Garret jagt man allem hinterher, was glitzert und kostbar erscheint.



Es ist die dunkelste Stunde für die Menschen in der Stadt ohne Namen, denn die Schwermut hat sich wie eine bleierne Decke über sie gelegt. Sie hungern, fürchten Krankheit und Tod. Baron Northcrest trägt Schuld daran, der einen einseitigen Krieg im Namen des Fortschritts führt und dabei über Leichen geht. In diesen schweren Zeiten raubt Garret den Menschen zu allem Überfluss auch noch das Wenige, was sie noch haben – rutscht aber zügig in eine positiv belegte Rolle. Das Bestehlen von unschuldigen Bürgern gehört nicht zu eurem Tagesgeschäft, dran glauben muss die Obrigkeit. Die Entwickler haben dem Plot eine Portion Übernatürliches beigemengt und schaffen, zusammen mit dem unverkennbaren Stil, eine ganz eigene Atmosphäre. Trotzdem wirkt die Handlung leider eher aufgesetzt und plump, was am Ende des Tages jedoch nicht mal das größte Problem des Spiels ist. Thief erscheint unfertig, was man u. a. an der Technik bemerkt: Es ruckelt stark und ständig, die Animationen sind nicht zeitgemäß und auch die Zwischensequenzen lassen zu wünschen übrig. Es wurde für die alte Konsolengeneration entwickelt, gerät oft an optische Grenzen und lädt ausgiebig. Der Sound ist hingegen grandios, bis auf die deutsche Synchro, viele Wiederholungen und Schwankungen in der Lautstärke.

Schleichen muss man mittlerweile in vielen Spielen, bei den wenigsten ist es aber der Hauptbestandteil. Thief ist Mitbegründer des Stealth-Genres und setzt zu 100 % auf besonnenes und gut geplantes Vorgehen. Es ist beeindruckend, dass man das gesamte Spiel ohne Gewalt beenden kann. Wie ein Phantom, völlig unentdeckt. Ihr nutzt die Nacht, den Schatten, lenkt Gegner ab und knackt Schlösser. Die Laufwege der Wachposten werden eingeplant und Dächer erklommen, um unbemerkt von A nach B zu gelangen. Leise bewegt man sich auf das Ziel zu, Tresore, Juwelen, Gemälde und wichtige Dokumente. Laut geht das natürlich auch, allerdings ist Garret im Kampf nicht gerade talentiert, gefährdet so den Erfolg der Mission und zieht die Aufmerksamkeit auf sich. Falls man einen Widersacher wirklich nicht umgehen kann, sollte man zu einem heimlichen Schlag ansetzen, aus der Deckung heraus, und im Anschluss den ohnmächtigen Körper bei Seite schaffen. Die KI der Gegner ist anfangs schwer einzuschätzen, irgendwann hat man den Dreh aber raus. Im Schutze der Dunkelheit wird man selten gesehen, lächerlich wird es dann aber, wenn das Kind bereits in den Brunnen gefallen ist, ihr also enttarnt seid: Hier reicht es beispielsweise aus, in einen Lüftungsschacht zu kriechen. Die Gegner sind dann 30 Sekunden lang völlig aus dem Häuschen, die Musik wirbelt wild – aber niemand kriegt euch zu packen. Und wenig später ist die Welt dann wieder in Ordnung. Der seltene Einsatz des feinen Bogens ist genau diesem Umstand geschuldet. Dabei hat der, den richtigen Pfeil vorausgesetzt, ziemlich imposante Fähigkeiten: Löscht Fackeln, entzündet Ölflecken, schaltet Hunde und Vögel mit Erstickungspfeilen aus, schießt im allergrößten Notfall einem Feind aus weiter Ferne in den Kopf oder nutzt Seilpfeile, um an bestimmten Stellen auf Dächer und Balkone zu gelangen.



Thief spielt sich bei Weitem nicht so toll, wie ich zunächst dachte. Garret wirkt auf den ersten Blick sehr agil und huscht beeindruckend durch die Schatten, allerdings sollte man andere Spiele nicht als Maßstab für Bewegungsfreiheit heranziehen. Die Stadt ist ein kleiner, beschränkter Irrgarten mit vielen Sackgassen und nur die wenigsten Fenster und Türen lassen sich öffnen. Hinzu kommt, dass Garret nicht richtig springen kann und auch nur äußerst ungern klettert. Das geht nur an extra dafür vorgesehenen Orten und wirkt für ein Spiel dieser Art unfassbar simpel. Ich finde es schade, dass eine Erkundungstour von vorneherein ausgebremst wird und man stattdessen auf immer gleich patrouillierende Wachen setzt, die nach jedem Kapitel aufs Neue durch die Straßen schlendern und dabei was von Eintöpfen erzählen. Thief will frei begehbar sein, wirkt aber eng und hält nur bedingt Geheimnisse für euch bereit. Möbel sind fast immer leer und auch das Knacken von Schlössern beginnt irgendwann zu langweilen. Es läuft immer nach gleichem Muster ab, ebenso wie die Nebenmissionen. Davon gibt es einige, die die acht Hauptmissionen gelungen ergänzen. Abseits der ausladenden Story könnt ihr Garret mit Fokuspunkten stärken oder bei zwielichtigen Händlern Upgrades kaufen. Dort gibt es auch Nahrung und Mohn. Letzteren braucht man, um sich zu konzentrieren, was Fallen in der Umgebung auftut und wichtige Objekte markiert.

Schön ist, dass Thief unachtsames Verhalten hart bestraft und sich Gesundheit und Fokus auch nicht von alleine wieder aufladen. Schön ist auch, dass ich trotz all der oben geschilderten Widrigkeiten etwa 18 Stunden mit Garret verbracht habe. Das ist mehr als positiv und spricht für die Motivation des Titels. Eidos hätte leicht sehr viel mehr aus Thief machen können und müssen. Die Grundvoraussetzungen sind da, der Stil ist gelungen, doch leider ecke ich mit dem Spiel zu oft an und stoße an dessen Grenzen. Einige wenige Raubzüge fühlten sich intelligent, spannend und durchdacht an, der Großteil des Spiels ist jedoch ohne Finesse.


★★★★     (befriedigend)

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Genre: Action
Entwickler: Eidos-Montréal
Publisher: Square Enix

Release: Februar 2014
getestet: März 2014 // Xbox One // pal UK // Limited Edition