Titanfall


Hagelsturm aus Metall


Man wird ja nicht jünger. Ein wenig zittrig beäugte ich den Installationsvorgang von Titanfall und mit jedem Gigabyte wuchs die Sorge: Werden mich meine Reflexe im Stich lassen? Das Spiel hat den Ruf pfeilschnell zu sein, mit Dauersprint und Wandlauf. Ein äußerst flotter Shooter. Kann man als Ü30-Gamer in einem solchen Spiel noch konkurrenzfähig agieren? Wenn Bruchteile von Sekunden über Leben und Tod entscheiden?

Juhu, ich kann es noch! Das liegt jedoch nicht nur an mir, sondern insbesondere an der feinen Programmierkunst seitens Respawn Entertainment. Die haben mit Titanfall einen Ego-Shooter erschaffen, der dem bisweilen angestaubten Genre ordentlich einheizt. Innerhalb weniger Spielminuten überwältigt euch Titanfall mit einer Dynamik und spielerischen Leichtfüßigkeit, die ihresgleichen sucht. Blitzschnell ist man ein Teil des Geschehens, nutzt den virtuellen Spielplatz in vollem Umfang und kommt rasch dahinter, wie der Hase läuft. Schon zu Spielbeginn sprintet man los, rennt wie einst der Prince of Persia problemlos an Wänden entlang und gewinnt weiter an Geschwindigkeit. Per Knopfdruck donnert man rüber zur nächsten Wand und katapultiert sich so förmlich von A nach B. Unterstützt werdet ihr bei den Akrobatik-Einlagen von einem Jetpack, das euch Doppelsprünge ermöglicht und so auch die Vertikale erschließt. Hausdächer sind in wenigen Augenblicken erklettert und bieten mitunter einen strategischen Vorteil.



Die punktgenaue Steuerung sorgt dafür, dass man stets die Übersicht behält. Titanfall ist wirklich sehr schnell, aber nur äußerst selten verliert man die Kontrolle über das Spektakel. Viel wahrscheinlicher ist das Erreichen eines Zustands, den man am besten mit Flow umschreiben kann. Oder anders: geschmeidig, elegant, fließend. Dann fallen plötzlich schwer gepanzerte Kampfmaschinen mit gewaltigen Verteidigungssystemen vom Himmel, wie ein Hagelsturm aus Metall. Von der ersten Sekunde an fühlt man sich in den großen Titans wie der König der Welt. Brachial, schwer, unaufhaltsam. Respawn hat es aber geschafft, trotz jenem Gefühl der Übermacht das hohe Tempo aufrechtzuerhalten. Man ändert zwar im Mech sofort die eigene Kampfstrategie, doch der Flow geht nicht verloren. Titanfall bleibt seiner unkomplizierten und schwungvollen Linie treu.

Der Ego-Shooter macht einige Dinge anders als die Genre-Konkurrenz und tut dies mit einer gewissen Frechheit. Tester auf der ganzen Welt schauen irritiert auf ihre Strichlisten und wollen die Geschichte, den Einzelspieler, die Ladezeiten oder auch die ausgereifte Technik bewerten – und müssen Abstriche bei all diesen Punkten machen. Zum Teil, weil sie gänzlich fehlen. Respawn hat beispielsweise keinen Singleplayer programmiert, die Geschichte ist nicht der Rede wert und den grafischen Schluckauf hat man auf der Xbox One auch nicht in den Griff bekommen. Warum hat man also trotzdem das Bedürfnis eine verflucht gute Note zu vergeben?! Die üblichen Parameter in Sachen Benotung greifen jedenfalls nicht. Das übersichtliche Menü führt euch durch verschiedene Spielmodi, darunter Deathmatches, Eroberungsvarianten und auch Capture the Flag. Kein Überfluss, dafür alles gut besucht. Wenngleich jeder Modus einen anderen Ansatz verfolgt und sich eure Taktik wie von selbst entsprechend anpasst, bleibt das Spiel im Kern immer gleich: Man startet als agiler Pilot und feuert solange aus allen Rohren, bis man einen Titan vom Himmel bestellen kann. Dann geht es meist in der Kampfmaschine weiter, bis diese den Geist aufgibt und zum Ausstieg via Schleudersitz einlädt. Es herrscht immer unfassbar viel Bewegung und jede Menge Bots machen das Schlachtfeld lebendig. Dafür gabs viel Kritik, mir gefällt das Füllmaterial jedoch. Warum denn auch nicht? Die 15 Karten sind aufs Wesentliche konzentriert, aber nicht klein. Einen Kampf findet man immer. Achso, es fühlt sich meines Erachtens genau deshalb nicht so an, als spielten hier lediglich sechs Spieler gegeneinander.



Die Kämpfe offenbaren eine gewisse Tiefe, vor allem weil man auch als Pilot einem Titan gegenüber nicht hoffnungslos unterlegen ist. Ihr habt gewaltige Abwehrwaffen im Gepäck, könnt die Ungetüme außerdem bespringen und den Verteidigungsschild so umgehen. Umgekehrt walzen die Titanen teils ausversehen ihre Gegenspieler nieder oder vernichten euch mit nur einem Schuss. Unbemannt wird euer Kampfroboter übrigens von einer KI gesteuert, was strategisch nicht uninteressant ist. Ein Auto-Titan ist natürlich nicht so angriffslustig und effektiv wie ihr selbst, hält aber Wache. Der Wechsel zwischen Pilot und Titan läuft lückenlos und spielt sich wie aus einem Guss.

In Sachen Bewaffnung hat sich Respawn nicht wahnsinnig viel einfallen lassen und hält das Arsenal hier überschaubar. Euren Piloten gestaltet ihr selbst, spielt Erweiterungen frei und sucht euch taktische Fähigkeiten aus. Mit Hilfe des Impulsscanners blickt man durch Wände, es gibt eine Tarnkappe oder erweiterte Parkour-Fähigkeiten. Dazu gewinnt man im Kampf Burn Cards. Mit denen verschafft man sich unterschiedliche temporäre Vorteile, verkürzt beispielsweise die Wartezeit auf einen Titan. Die Giganten aus Stahl sind wiederum mit Raketenwerfern oder mächtigen Gewehren ausgestattet, die zumeist Aufladezeiten oder eine niedrige Kadenz haben. An die Defensive sollte man also denken, was dank Spielerien wie Vortex-Schild oder Partikelmauer auch gut funktioniert. Die richtige Balance zwischen Pilot, Titan, Angriff und Verteidigung zu finden ist gar nicht so leicht, der Weg zur Perfektion aber gepflastert mit bester Unterhaltung.

Titanfall ist kraftvoll und rasant, wird aber nicht ewig motivieren. Dazu ist das Dargebotene unterm Strich zu dünn. Defizite in Technik und Umfang sind vorhanden, dass Fehlen einer Kampagne nicht ungemein schmerzlich, aber dennoch spürbar. Mir gefällt, dass man im Team sehr viel mehr erreichen kann als alleine, aber auch solo ein paar spannende Gefechte schlagen kann. Innovativ ist Titanfall irgendwie nicht und irgendwie doch – einen leichten Hauch frischen Windes spüre ich in meinem (noch) üppigen Ü30-Haar durchaus. Macht alles in allem eine deutliche, nicht aber uneingeschränkte Kaufempfehlung.


★★★★★★     (sehr gut)

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Genre: Ego-Shooter
Entwickler: Respawn Entertainment
Publisher: Electronic Arts

Release: März 2014
getestet: März 2014 // Xbox One // pal AT