Tomb Raider : Definitive Edition


Alles für die Wissenschaft


Süß ist sie, gerade Anfang 20, trägt enge Jeans und hat eine fantastische Figur. Ihre Neugierde bringt sie oft in pikante Situationen, sie ist sportlich und in allem, was sie tut, steckt Leidenschaft. Dieses weibliche Geschöpf der Superlative strandet nun tatsächlich auf einer Insel randvoll mit Männern, die seit vielen Wochen keine Frau mehr gesehen haben. Doch in wem jetzt die Wollust zu kochen beginnt, der wird jäh enttäuscht. Denn jene Insel, beherrscht von Flora, Fauna und Fanatismus, hat mit Erotik nichts gemein. Niemand will dem Mädchen dort an die Wäsche. Dort will man nur ihren Tod.

Ja, bisweilen ist Tomb Raider schwere Kost. Man wird Zeuge, wie Lara gejagt, gequält, geprügelt und verletzt wird. Sie rennt und klettert um ihr Leben und in nahezu jeder Minute des Spiels muss man sich gegen die Widrigkeiten der Wildnis und die Übermacht der Solarii-Sekte verteidigen. Man hat Mitleid mit dem armen Mädchen, das im Namen der Forschung die Insel Yamatai aufspüren wollte. Doch ein Unwetter im Drachen-Dreieck, direkt vor der Insel, reißt die junge Archäologin und ihre Crew fast in den Tod. Gestrandet. Und für Lara Croft beginnt jetzt neben dem Kampf ums Überleben auch der Kampf gegen Schuldgefühle, Zweifel und Angst. Obwohl die Entwickler mit der Story sicherlich keinen Oscar gewinnen, ist ihnen dennoch Großes gelungen: Getragen von hervorragenden Zwischensequenzen und einer tadellosen Synchronisation, ist die Atmosphäre am Limit. Ja, Crystal Dynamics bringt euch sogar Emotionen! Angespannt verfolgt man Laras Schritte durch den Dschungel und ist insgeheim froh, dass die junge Frau hart wie Kruppstahl ist und weder an sich selbst, noch an der Insel zerbricht.



Gespielt wird Tomb Raider wie gewohnt aus der 3rd-Person-Perspektive. Die funktioniert für den Wechsel aus Feuergefechten und Kletter- und Abenteuerpassagen gleichermaßen gut. Lara kann sowohl mit Maschinengewehren als auch mit Schrotflinten hervorragend umgehen, schwingt aber auch behände die Kletteraxt und erkundet die Insel vertikal wie horizontal. Je nach Spielabschnitt sollte euer Augenmerk aber immer erst auf dem Feindvolk liegen. Sehr aufmerksam sind die Solarii, meist in großen Gruppen unterwegs und überaus aggressiv. Lara kann sich zwar nahezu lautlos an die Wilden heranpirschen, interessanter ist aber ein Attentat mit dem Bogen – aus weiter Ferne. Danach gilt es dann allerdings eine gute Deckung zu finden, denn die Meute nimmt euch schlagartig ins Kreuzfeuer. Die Schusswechsel machen viel Spaß und erinnern dezent an Uncharted oder Gears of War. Erfolg verspricht der Massenmord an den Solarii hingegen nicht. Nein, bei Tomb Raider ist der Weg das Ziel. Neben der bereits erwähnten Kletteraxt nutzt ihr später Seilpfeile, mit denen sich auch die tiefste Schlucht problemlos überwinden lässt, man baumelt plötzlich an Abhängen oder springt zwischen Felsen hin und her. Zwischendurch eröffnet man dann wieder das Feuer auf die Widersacher, die sich irgendwann nur noch mit brennenden Pfeilen oder Granaten zu helfen wissen. Ein Glück, dass Lara das eigene Equipment ebenfalls hochzüchten kann. Werden die Wilden dann doch mal handgreiflich, verteidigt sich die Protagonistin mit Faustschlägen und vor allem mit einem gut getimten Konter. Wer im richtigen Moment abtaucht, rammt dem Gegner oftmals einen Pfeil ins Knie (tatsächlich) und schlägt ihm danach den Schädel ein. All das ist handwerklich so gut und sauber gemacht, dass Tomb Raider trotz mangelndem frischen Wind wirklich richtig Laune macht.



Wenngleich das Setting eigentlich für Tomb Raider nicht sonderlich außergewöhnlich erscheint, ist Yamatai doch recht beeindruckend geraten. Mir hat die Mischung aus alten Bunkeranlagen (Zweiter Weltkrieg), bedeutend älteren Höhlen und noch viel, viel älteren chinesischen Bauwerken außerordentlich gut gefallen. Dazu beginnt das Spiel wirklich mit einem Paukenschlag und sehr düster, dunkel und vor allem einsam. Man erkundet die Anlagen der Solarii, spürt versteckte Reliquien auf und landet auch mal in Kammern, die seit tausenden von Jahren niemand mehr betreten hat. Vor allem jene versteckten Gräber strahlen eine ganz fantastische Atmosphäre aus, davon hätten es gerne ein paar mehr sein dürfen – zumal diese Tempelanlagen oft zügig erkundet sind. Davon abgesehen fügen sich die einzelnen Teile des Titels so gut zusammen, dass ich bereits nach vier Tagen durch war. Obwohl Tomb Raider nicht schon nach acht Stunden beendet ist. Wem das alles trotzdem zu schnell geht, der kann womöglich ein paar Stunden Spaß im Mehrspieler haben, der aber schon wenige Wochen nach Release nicht mehr gut besucht ist. Und vermutlich nie war. Kann man sich als Entwickler künftig auch schenken und lieber die Kampagne etwas ausdehnen. Da wäre beispielsweise der Survival-Aspekt, der mir deutlich zu kurz gekommen ist. Anfangs dachte ich noch, man müsse jagen, die eigenen Wunden versorgen oder mühsam ein Nachtlager errichten. Nach gut einer Stunde war mir aber klar, dass das nicht mehr passieren wird. Die Tiere, die hier und da umherlaufen, sind nach 30 Minuten völlig unwichtig, Lara kuriert erlittene Schäden ohne Zutun des Spielers aus und die Lagerfeuer brennen auch im ältesten Tempel schon von ganz allein. Schade, all das hätte Tomb Raider noch intensiver gemacht. Auf etwas Intensität hätte ich gegen Mitte des Spiels übrigens gerne verzichtet: Die Solarii jagen zeitweise ein bisschen viel in die Luft, überall gibt es Explosionen und Feuer und irgendwie passt das nicht recht ins Bild. Es nimmt dem Titel die Mystik und wirkt schon sehr dick aufgetragen. Aber was meckere ich eigentlich so viel. Mich hat Tomb Raider trotz jener gut gemeinter Verbesserungsvorschläge wirklich beeindruckt und auch wenn der Titel wenig innovativ ist, kann ich dieses Abenteuer jedem ans Herz legen.


★★★★★★     (sehr gut)

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Genre: Action-Adventure
Entwickler: Crystal Dynamics & Eidos-Montréal
Publisher: Square Enix

Release: Januar 2014
getestet: Mai 2014 // Xbox One // digital // Deutsch