Far Cry 4


Stirb, Rabi Ray!


Kann ich nicht einfach mal durch Kyrat fahren und nur Musik hören? Nein. Immer wenn man ein Fahrzeug besteigt, dröhnt nach nicht einmal zehn Sekunden die Stimme von Rabi Ray Rana aus den Boxen. Der hält für den Radiosender Freies Kyrat ewig lange Monologe, die zunächst witzig erscheinen, aber spätestens nach dem zweiten Mal bloß noch langweilen. Abschalten ist leider nicht drin. Und so fährt man durch die Gegend, auf dem Weg zum nächsten Ziel, und erträgt seine nervigen Geschichten. Laufen ist kaum eine Alternative, dafür ist die Landschaft einfach zu groß und bergig. Die Erlösung taucht dann und wann am Horizont auf, wenn feindliche Truppen sich blicken lassen – denn das Trommelfeuer der Gewehre übertönt selbst den enthusiastischsten Radiomoderator.

Gefechte gegen die Royal Army gibt es (glücklicherweise) häufig. Sie patrouillieren in ihren roten Anzügen an kleineren Stützpunkten, bewachen und sichern Außenposten oder ganze Festungen. Was einst Fabriken oder Höfe waren, steht nun leer und wird von Pagan Min und seinem Gefolge in Beschlag genommen und für illegale Zwecke missbraucht. Der Goldene Pfad hingegen, ein Verbund aus Rebellen, stellt sich jener Ausbeutung und Diktatur in den Weg und hat mit eurer Person eine unbändige Kampfmaschine in ihren Reihen. Vorsicht ist jedoch geboten, denn egal wie talentiert der Protagonist auch sein mag, der Feind ist euch zahlenmäßig deutlich überlegen. Stützpunkte sind mit Alarmen gesichert, Verstärkung ist schnell da. Wer sich also nicht plötzlich im Duell mit einem Hubschrauber oder zig weiteren Kämpfern befinden möchte, der lässt das schwere Maschinengewehr in der Waffenkammer und schnappt sich stattdessen Pfeil und Bogen. Ein kluger Krieger sondiert die Lage, entdeckt Schlupflöcher in der kyratischen Infrastruktur, schaltet so Alarme aus der Distanz ab und greift sich unaufmerksame Gegner, wenn niemand zusieht. Das geht via lautlosem Takedown, mit aufgeschraubten Schalldämpfern oder ganz anders: Werft einen Fleischköder in das feindliche Gebiet und seht zu, wie Tiger, Wölfe oder Bären das Gelände stürmen und für Verwirrung und Tod sorgen. Empfehlenswert, allerdings nicht gerade leise, ist selbstverständlich auch eine Amokfahrt auf einem Elefanten, ein Hagel aus Mörsergranaten oder die Kraft wütender Flammen diverser Molotowcocktails. Eure Entscheidung.



Die Entwickler lassen euch im Prinzip freie Hand, sogar bei der Auswahl der Missionen. Die übersichtliche Karte hilft euch beim Voranschreiten in der Story, zeigt euch aber auch alle Sidequests an. Die sind bisweilen ziemlich irre: Geht für einen durchgeknallten Designer auf die Jagd oder helft mit riskanten Stunts dem aufstrebenden Kyrati-Filmstudio ein paar fetzige Videos zusammenzuschneiden. Euer Alter Ego wird aber auch mit der Beschaffung von Lebensmitteln betraut, rettet Geiseln und schützt Konvois. Wer als guter Samariter in die Geschichte eingehen möchte und jedem ein bisschen hilft, der ist problemlos über 35 Stunden mit Far Cry beschäftigt. Nicht eingeschlossen sind darin die vielen Minuten, die man Kyrat einfach nur genießt und erlebt. Wunderbare Atmosphäre und Optik, exotische Tiere, versteckte Höhlen voller Geheimnisse und immer mal wieder stolpert man eher zufällig über sogenannte Karma-Ereignisse, bei denen man eher unverhofft zum Freund und Helfer für die Einwohner der Umgebung werden kann. Der agile Ajay ist dabei nicht ausschließlich zu Fuß unterwegs, er erklimmt steile Felswände flott mit einem Enterhaken, schwingt sich ans Lenkrad diverser Fahrzeuge oder fliegt mit einem Gyrokopter über Bergkämme und Felder. Die Steuerung der Vehikel ist zunächst etwas merkwürdig. Ich brauchte eine gute Stunde, bin dann aber souverän durch die Gegend oder direkt über meine Widersacher gerast.



Far Cry 4 erzählt die Geschichte eines Zwei-Parteien-Konflikts, der aufwendig präsentiert wird und mit dem internen Disput des Goldenen Pfades – zwischen Sabal und der hinreißenden Amita – einige kleine Wendungen parat hält. Ajay hat überdies eine eigene Meinung und bleibt keine stumme Marionette, weshalb mir die Story unterm Strich sehr gut gefallen hat. Die Atmosphäre ist intensiv und wird von beeindruckender Technik untermalt. Kyrat ist ein paradiesisch-schöner Flecken Erde, reich an Details, gesegnet mit herrlicher Weitsicht und keinerlei Ladezeiten, während man sich durch die Spielwelt bewegt. Die hohe Qualität wird vom Sound bestätigt, hervorheben kann man die stimmige deutsche Synchro, die zusammen mit der Musik das positive Gesamtbild abrundet. Nicht ganz gelungen fand ich den Einstieg, da Far Cry 4 verflucht viel zu bieten hat und schon zu Beginn laufend durch kleinere Aufgaben unterbrochen wird. Das zahlt sich zwar später aus, aber Ubisoft schafft es seine Spiele auf eine gewisse Art und Weise zunächst zu überladen. Von kleineren Patzern, wie den Wingsuit auf LS zu legen, kann man den Entwickler auch nicht gänzlich freisprechen. Gelegentlich greifen halt nicht alle Räder ineinander, was auch bei der KI deutlich wird. Die feindlichen Söldner agieren plump und offenbaren im Kampf eklatante Schwächen. Ganz im Gegensatz zum tollen Hauptmenü: Hier könnt ihr z. B. Erfahrungspunkte verteilen, eure Beute im Auge behalten oder Heilspritzen herstellen. Die Charakterentwicklung funktioniert unkompliziert und gut.

Im Herzen ein Ego-Shooter; Far Cry 4 ist selbstverständlich von Action geprägt und baut vor allem auf den bewaffneten Konflikt. Damit das nicht langweilig wird, hat Ubisoft geschickt viele interessante Ideen verwirklicht. So richtig unsterblich gemacht hat sich FC mit Ausflügen in den Himalaja, farbenprächtigen Rauschzuständen und dem mysteriösen Shangri-La. Hiermit haben sich die Entwickler selbst übertroffen und mich schwer beeindruckt. Obendrein, wenngleich von mir ignoriert, kann man das Spiel mit einem Kumpel durchspielen oder gegen den Rest der Welt in den Kampf ziehen. Fazit? Während ich FC3 noch ausgelassen habe, hat mich FC4 überzeugt: Meines Erachtens ein echtes Action-Brett, kreativ, groß und mit obendrein ziemlich gut gemachten Xbox-Erfolgen.


★★★★★★     (sehr gut)

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Genre: Ego-Shooter
Entwickler: Ubisoft Montréal
Publisher: Ubisoft

Release: November 2014
getestet: März 2015 // Xbox One // pal deutsch