Need for Speed


Ihr Hobby war die Fahrerflucht


Es ist auf gewisse Art und Weise überwältigend, wie der Cast von Need for Speed in den Zwischensequenzen das szenige Leben ein paar junger Erwachsener repräsentiert. Heftig überzeichnete Antialkoholiker, aufgeladen durch Monster Energy, die mit flotten Sprüchen aus einem anderen Universum wie selbstverständlich massiv das Leben anderer Menschen im Straßenverkehr gefährden. Allerdings gehen sie diesem Hobby absolut passioniert und engagiert nach. Die Crew hat nämlich vor, den Asphalt regelrecht zu beherrschen – stilvoll und rasant. Dabei hat jedes Mitglied in eurem Team einen anderen Fetisch. Amy schraubt beispielsweise fast lieber an ihrem Fahrzeug herum, als das sie fährt. Manus Herz schlägt wiederum für Gymkhana, während der cholerische Spike alles ins Gaspedal investiert. Eingespannt in diese Rahmenhandlung macht ihr euch in Ventura Bay selbst einen Namen, der hoffentlich bald in aller Munde ist.



Need for Speed ist ein kompromissloses Arcade-Rennspiel. Wie bei vielen anderen Titeln dieses Genres steht euch die komplette Stadt von Anfang an zur freien Fahrt zur Verfügung. An vielen Ecken von Ventura Bay locken dann Events und Rennen, an denen ihr nach und nach teilnehmen werdet. Ganz im Sinne der o. g. Fetische liegt der Fokus dabei mal auf eurer Fähigkeit zu driften, mal auf eurem Bleifuß. Es gibt sowohl Rundkurse als auch Sprintrennen oder Zeitfahrten. Spätestens wenn sich dann Drift-Trains oder Gymkhana-Routen einmischen, spielt die Wahl des Fahrzeuges eine entscheidende Rolle – oder man regelt das durch Tuning in echter Handarbeit. In eurer privaten Garage, die einen kleinen, aber feinen Fuhrpark beherbergt, kann man die Autos durch das gewiefte Spiel an diversen Reglern hinsichtlich Grip und Drift modifizieren. Mir kam es übrigens meist so vor, dass z. B. Zeitfahrten kein Problem darstellten, während man für einige Rundkurse oder Drift-Trains einen nahezu perfekten Run hinlegen muss, um zu gewinnen. Dank eines sehr merkwürdigen Gummiband-Effekts kann man die dämliche KI sogar beeinflussen: Bleibt man nahe bei einer Gruppe, werden deren Zeiten schlechter. Prescht man hingegen von Anfang an nach vorn, gibt auch die KI massiv Stoff. Mischen kann man die verschiedenen Renntypen übrigens wie man möchte, eine wirklich festgelegte Reihenfolge gibt es nicht. Während der Rennen sammelt man durch waghalsige Aktionen Reputation und on top gibt es dazu noch harte Dollar. Beides fließt logischerweise direkt in neue Teile oder die Optik eures Boliden. Nitro halte ich für einen sehr wichtigen Zukauf, getönte Fenster sowieso und sogar ohne viel Fachwissen oder Mühe kann man selbst aus einem Lamborghini noch massenhaft Pferdestärken herauskitzeln.

Während das Tuning und die Verbesserungen zu überzeugen wissen, ist die Anzahl der zu erstehenden Fahrzeuge eher mau. Gefühlt sind nur knapp 30 Vehikel verfügbar, darunter viele Porsche, nur ein Ferrari und eine Handvoll Japaner und Amerikaner. In einem dieser Fahrzeuge geht es dann aus der Garage zurück in die Nacht. Die auch immer Nacht bleibt. Auf Sonnenschein wurde bei Need for Speed verzichtet, stattdessen gibt es gelegentlich eine leichte Dämmerung zu bestaunen, oft glänzen die Straßen regennass und durchweg ist es dunkel (aber nicht finster). Das passt zur Atmosphäre, die nach anfänglichem Schock über das szenige Getue ganz gut gelungen ist. Es ist halt NfS, also leicht rebellisch, durchaus übertrieben und aufgrund der Schauspieler in den Zwischensequenzen auch ein wenig unbeholfen und trashig. Leider ist Ventura Bay nicht gerade riesengroß, hält wenig markante Ecken parat und gerät zum Überfluss auch noch häufig ins Stocken. Das liegt wohl auch daran, dass sich mehrere Spieler auf einem Server tummeln und man diesen auf den Straßen auch begegnen kann. Brachte mir aber keinen Mehrwert, ich habe es strikt als Einzelspieler erlebt.



Gut gefallen hat mir, dass NfS erneut sehr unkompliziert zugänglich ist. Den Umgang mit der Karte und dem GPS, ebenso wie die Teleport-Funktion, hat man schnell verinnerlicht. Selbst grobe Rempler übersteht man ohne Totalschaden oder Strafzeit, Abkürzungen sind sogar an der Tagesordnung. Das bedeutet aber nicht, dass die Rennen nicht volle Konzentration erfordern. Mit 300 Sachen in der Innenstadt braucht es wirklich gute Reflexe. Der wenige vorhandene Verkehr hält euch zudem auf Trab und die Handbremse will auch noch professionell dosiert werden. An die Steuerung habe ich mich auch nach vielen Stunden lediglich gewöhnt, gut ist sie nicht. Ab und an reagieren die Fahrzeuge wie Schiffe, dann wieder hochsensibel. Gut also, dass man ruhigen Gewissens die halbe Umgebung abreißen kann. Das nehmen die Protagonisten für eine Extraportion Adrenalin gerne in Kauf. Steigerungsfähig ist das eigentlich nur, wenn einem die Polizei von Ventura Bay plötzlich auch noch am Spoiler klebt. Abgesehen vom Handlungsstrang Outlaw ist die Präsenz der Beamten aber gering und in nahezu allen Fällen ist eine Verfolgungsjagd beendet, noch bevor sie begonnen hat. Im Endeffekt hätte man die Cops also ganz draußen lassen sollen.

Die Entwickler von Ghost Games haben ein Rennspiel geschmiedet, was sich für mich als solider Durchschnitt entpuppt hat und meine Erwartungen somit voll erfüllt hat. Neben den bereits erwähnten positiven Aspekten hat mir das Menü gut gefallen, die täglichen Herausforderungen und viele Datenblätter zur Statistik. Unfassbar nervig waren hingegen die ständigen und unsagbar lästigen Anrufe meiner Crew. Darüber hinweg getröstet habe ich mich mit gratis DLC. Dem hat man es übrigens zu verdanken, dass man trotz recht kleinem Stadtgebiet eine ganze Weile lang mit dem Titel beschäftigt ist. Ich habe viel geflucht, wie immer bei Need for Speed, bin aber trotzdem wieder mal am Ball geblieben. Nicht das schlechteste Zeichen.


★★★     (ausreichend)

________________________________________________
Genre: Rennspiel
Entwickler: Ghost Games
Publisher: Electronic Arts

Release: November 2015
getestet: Mai 2016 // Xbox One // digital // Deutsch