Rise of the Tomb Raider


Verflucht sei der Winter


Das erotische Erbe Tomb Raiders scheint langsam, aber sicher zu verblassen. Zeitweise habe ich sogar vergessen, dass ich eine 22-jährige, sportlich-attraktive Draufgängerin spiele. Liegt vermutlich vor allem daran, dass Lara vernünftige Klamotten trägt und in Sibirien leider nicht im Tank Top herumturnt. Das war im Vorgänger noch anders, da war es nämlich bedeutend wärmer. Bis auf jene Tatsache übrigens, knüpft Rise of the Tomb Raider nahtlos an eben jenen brillanten Vorgänger an. Erneut haben wir es also mit einem waschechten Action-Adventure zu tun, bei dem es zum Großteil um das Erforschen alter Grabstätten und Heiligtümer geht. Dazu kommen brutale Auseinandersetzungen mit Söldnern, ein Hauch Survival und natürlich versuchen die Entwickler das Ganze in einer spannenden Handlung zu präsentieren.



Leider hat der Part mit der Spannung überhaupt nicht funktioniert. Unsere junge Forscherin versucht die Quelle des Ewigen Lebens zu finden, die schon ihr berühmter Vater aufspüren wollte. Soweit so gut. Leider mischt sich jedoch schnell der gesichtslos dargestellte Geheimbund Trinity in das Geschehen ein. Der besteht aus mysteriösen Drahtziehern im Hintergrund und begnügt sich an der Front mit dümmlichen Soldaten, respektive einem fanatischen Anführer namens Konstantin. Der ist zwar nicht ganz so eindimensional wie die meisten seiner Handlanger, wirkt aber wie ein Bösewicht aus 90er-Jahre-Actionfilmen und hat mich einfach nur genervt. Unglücklicherweise ist es auch der rebellischen Gegenseite nicht gelungen, mich für sich zu gewinnen. Die Story wirkt insgesamt eher flach, reitet auf vielen Klischees herum und hat es nicht geschafft das Übernatürliche glaubhaft zu präsentieren. Ich bin wirklich froh, dass zumindest in den alten Grabanlagen, Tälern und Städten die dichte und gute Tomb-Raider-Atmosphäre zu spüren ist.

In Sachen Gameplay ist alles weitestgehend beim Alten geblieben. Action und Adventure werden recht strikt voneinander getrennt, wechseln sich also eher ab, als miteinander zu verschmelzen. Finde ich immer noch gut, wenngleich es dadurch vorhersehbar wird. Aber immerhin wird man beim Erkunden von Gräbern oder beim Lösen von Rätseln nicht laufend von Feinden beschossen. Das kommt dann immer einige Minuten später. Wenn es soweit ist, bedient Lara gekonnt alles von der Schrotflinte bis zur Pistole, nutzt im Nahkampf die robuste und scharfe Kletteraxt oder agiert aus weiter Ferne mit dem Bogen. Jenes lautlose Mordwerkzeug hat mir wieder am besten gefallen. Ob man grundsätzlich eher taktisch und diszipliniert durch die Gegend schleicht oder wild feuernd durch die Mitte brettert, ist im Regelfall euch selbst überlassen. Meine Vorgehensweise war ruhig und professionell, mit Gift- und Feuerpfeilen aber mitunter auch ziemlich spektakulär. Die Umgebung dient Lara nicht nur zur Tarnung oder zum Schutz, oft können Teilbereiche auch erklettert werden und als personalisierter Tod von oben hagelt es dann Gewehrkugeln und Pistolenschüsse. Dann und wann können sich auch Großkatzen oder Bären in dieses Ballett der Gewalt einmischen, die man völlig anders bekämpfen muss, was selbst mich immer wieder kurz aus der Fassung gebracht hat.



In mir weckt ein Lagerfeuer immer die Lust auf Bier und BBQ, für Lara ist deren Qualität existentieller: Für sie bedeutet es Wärme, Leben, aber auch Selbstreflexion. Denn wenn man am Feuer sitzt, kann man Laras Fähigkeiten erweitern, Waffen mit völlig neuer Durchschlagskraft schmieden oder mit Hilfe der aufgelesenen Ressourcen die Fähigkeiten in den Bereichen Kampf, Survival oder Jagd verbessern. Letztere Position ist übrigens ein bisschen mehr in den Fokus gerückt, was mir gut gefallen hat. Im Hauptspiel ist das Aufspüren und Zerlegen von Tieren zwar immer noch nicht wirklich wichtig, wird aber dann in einem DLC – einer Art Survival-Modus – richtig zum Leben erweckt. Da kann man dann sogar erfrieren.

Technisch hat der Titel vor allem optisch einiges auf dem Kasten. Gräber, Höhlen, alte Badehäuser oder bizarr anmutende Konstruktionen aus der Vergangenheit begeistern das Auge und wurden knackscharf auf Disc gepresst. Was die Vertonung betrifft, so wurde Nora Tschirner von Maria Koschny ersetzt, was sich weder positiv noch negativ auf das Endergebnis auswirkt. Jedoch kam es mir beim Spielen oft so vor, als hätte man sich bei den Nebenfiguren nicht allzu sehr bemüht. Negatives Highlight waren hierbei die Begleittexte zu den gefundenen Artefakten. Abgesehen davon, dass diese Fundstücke an sich schon uninteressant waren, wurden die Texte unprofessionell eingesprochen. Für mehr Begeisterung hat indes das Aufspüren jener Geheimnisse gesorgt, denn dafür muss man alle akrobatischen Register ziehen. Selbst an brüchigen Hängen klettert Lara herum, weiche Wände wiederum können mit Kletterpfeilen gespickt werden und mit dabei sind natürlich viele rätselhafte Anlagen, bei denen mit Gewicht, Schaltern oder Seilpfeilen experimentiert werden muss. Niemals frustrierend, fast immer sehr unterhaltsam. Gut integriert wurde hierbei auch das ständig wachsende Arsenal unserer Heldin, so dass später erneut besuchte Orte durchaus anders begehbar werden.

Die Unzulänglichkeiten von Rise of the Tomb Raider führen unterm Strich und in Kombination jedoch dazu, dass mir der Titel nicht so gut gefallen hat wie der direkte Vorgänger. Liegt am Setting, der Story und einem Stück weit auch an der Atmosphäre. Die Level sind oft eng und wirken gestaucht, außerdem habe ich dem Titel vieles nicht abgekauft. Nichtsdestoweniger, trotz all der Kritik, ist Laras neues Abenteuer irgendwie Pflicht: An Gebäuden empor zu klettern, Soldaten in Brand zu stecken und stundenlang nach Reliquien zu suchen, macht einfach zu viel Spaß. Genau deshalb darf sich Tomb Raider über ein (verflucht) knappes 'gut' freuen.


★★★★★     (gut)

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Genre: Action-Adventure
Entwickler: Eidos-Montréal & Crystal Dynamics
Publisher: Square Enix & Microsoft Studios

Release: November 2015
getestet: Mai 2016 // Xbox One // digital // Deutsch