Far Cry : Primal


Pelz ist wieder angesagt


Still hocke ich im hohen Gras. Ich beobachte seit einiger Zeit die Wollnashörner weiter vorn, meinen Langbogen im Anschlag. Mitten unter ihnen ist ein seltenes weißes Zweihorn. Ich bin ein Tierfreund, wirklich. Aber für meine neue Bombentasche brauche ich dieses imposante Fell. Das Tier muss sterben! Neben mir, völlig geräuschlos, liegt ein schwarzer Berglöwe. Handzahm. Schließlich atme ich ein, spanne die Sehne und ziele auf den Kopf des großen Grasfressers. Schuss! Ich lasse direkt mehrere Pfeile schnell hintereinander fliegen. Mein Löwe sprintet nach vorn, greift an, doch das Zweihorn wehrt sich. Scheiße! Ich stürme aus der Deckung, greife meine Keule und prügele unbeholfen auf das Tier ein. Zahlreiche Pfeile stecken schon in seinem Körper und endlich stirbt es durch meine schweren Hiebe, kippt um und spendet Erfahrungspunkte. Wenige Augenblicke später ist es gehäutet und weiterverarbeitet. Kann sich sehen lassen, meine neue Tasche.



Jagen ist ein wichtiges Thema bei Far Cry : Primal und macht eigentlich viel Spaß, kann gelegentlich aber auch frustrieren. Man muss nämlich ziemlich viel jagen und meist läuft es dann doch nach exakt gleichem Muster ab. Jedoch: Nicht selten wird man auch selbst zum Opfer. Wer kennt das nicht? Eigentlich beobachtet man einen feindlichen Außenposten und plötzlich hat man einen Jaguar im Nacken. Naja, immer noch besser als Dachs, Elch oder Yak, deren Hiebe und Bisse richtig wehtun. Niederknüppeln kann man sie übrigens alle. Denn sie sind wohlschmeckend und nützlich, Häute und Knochen sind vielseitig einsetzbar. Ubisoft besteht auf das Sammeln von Rohstoffen und Zutaten, was mir hervorragend gefallen hat: Waffen können damit verbessert werden, ihr werdet robuster und könnt eurem Dorf helfen zu wachsen und zu gedeihen. Ebenso gelungen ist die Option, Tiere zähmen zu können. Die begleiten euch dann lammfromm und mutieren im Kampf zu echten Lebensrettern. Ein Braunbär zerlegt die Feinde teilweise mit einem Schlag! Ein echter Pluspunkt, wenngleich das Zähmen an sich ein merkwürdiger Prozess ist. Die Tiere müssen nämlich zunächst gewaltsam niedergerungen werden.

Primal ist ein völlig eigenständiges Spiel, basiert aber in jedweder Hinsicht auf dem Gerüst von Far Cry 4. Sowohl an der Grafik bemerkt man das, spielerisch wird es dann noch deutlicher. Die Entwickler hatten aber ein Ass im Ärmel, so dass die Parallelen zunächst nicht so offensichtlich erscheinen: Sie haben die Zeit einfach um 12.000 Jahre zurückgedreht. Und hier, 10.000 Jahre vor Christus, bestehen Dörfer lediglich aus wenigen kleinen Hütten, Höhlenmalerei ersetzt die Tageszeitung und statt Hauskatzen gibt es Säbelzahntiger – und Dinosaurier sind lange ausgestorben. Das Leben in dieser Wildnis ist hart. Territoriales Denken und Hunger beherrschen den Menschen, Diplomatie ist noch lange ein Fremdwort. Muskeln funktionieren besser. Was also tun, wenn der benachbarte Stamm wieder Ärger macht? Greift zu Keule, Speer oder Stachelfalle. Euer Alter Ego, Takkar, kann ganz hervorragend damit umgehen, ist mit unbändigem Kampfesmut und viel Kraft gesegnet. Die agile Kampfmaschine wirkt außerdem intellektuell ein wenig reifer als seine Mitmenschen. Spätestens als euer Schamane euch dann auch noch zum Beast Master kürt und jener Ruf durch ganz Oros hallt, seid ihr der ungekrönte König der Wenja. Zum Leidwesen der Udam und der Izila, eben jenen erwähnten Nachbarn, deren Stammesangehörige ihr zu Hunderten abschlachtet. Drei Udam stapfen durchs Dickicht auf der Suche nach Nahrung? Totschlagen! Die Izila haben eine hübsche Höhle für sich beansprucht? Bomben rein und abfackeln! So läuft das bei Primal, dessen mittelmäßige Geschichte mit einigen kurzen Zwischensequenzen erzählt wird.



Die Kämpfe funktionieren wie in jedem anderen Ego-Shooter auch, insbesondere Far-Cry-Kenner sind sofort drin. Wie immer setzt Ubisoft auf zahlreiche Gefechtsoptionen. Sondiert mit eurer Eule das Gebiet (oder greift sogar an), werft Feuer- oder Giftbomben, hetzt wilde Tiere auf die Gegner, reibt sie im Nahkampf mit Schlagwaffen auf oder schießt ihnen aus weiter Ferne elegant Pfeile durch den Kopf. Vom lautlosen Takedown bis hin zum donnernden Ritt auf einem Mammut ist alles möglich. Anfangs ist man entsprechend begeistert, nach dem elften Außenposten ist aber auch das nicht mehr spannend – und gipfelt tatsächlich in einem gnadenlos miesen Bosskampf. Ja, leider versiegt die anfängliche Freude über die vielen Optionen schnell und was bleibt ist Routine.

Wer nicht kämpft oder jagt, der erkundet geheimnisvolle Höhlen und deckt weitere Teile der Karte auf. Trotz praktischer Schnellreise werdet ihr diese wohl mindestens 25 Stunden lang durchqueren – und dabei nicht selten von einer gewissen Trostlosigkeit übermannt. Denn wenngleich das Spiel insgesamt viel Freude macht, ist es durchzogen von einer drückenden Belanglosigkeit. Eure Taten haben wenig Auswirkungen, ständig wiederholen sich zufällige Begegnungen bzw. eure Aufgaben. Es gibt bei Primal dabei umgekehrt aber so viel zu tun, dass es einem am Ende bloß noch künstlich aufgebläht und zäh vorkommt. Hätte ich zwischen Far Cry 4 und jener Episode nicht so viel Zeit verstreichen lassen, wären mir die Parallelen zwischen den beiden Spielen vermutlich richtig sauer aufgestoßen. Design und Spielablauf wirken fast wie kopiert und in die Steinzeit übertragen. Ist okay, das Grundgerüst ist ja top, vom Hocker fegt mich das aber nicht. Visionen von Tiergeistern, der Einsatz von Kletterhaken oder diverse unterschiedliche Bomben kompensieren nicht die wenigen Gegner, die immer gleichen Missionen und das rasante Abflachen des Spannungsbogens. Das ist übrigens auch ein landschaftliches Problem: Zwar ist Far Cry wertig programmiert und sieht bisweilen echt toll aus, doch auch die schönste Dschungel- und Bergkulisse verliert nach einigen Stunden an Reiz. Primal ist unterm Strich ein ungemein interessantes Spin-off, hat mich lange unterhalten, ist aber kein Titel, den ich bedenkenlos weiterempfehlen kann.


★★★★     (befriedigend)

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Genre: Ego-Shooter
Entwickler: Ubisoft Montréal
Publisher: Ubisoft

Release: Februar 2016
getestet: August 2017 // Xbox One // pal deutsch