Titanfall 2


Ein Herz und eine Seele


Wenn er weg ist, fühle ich mich einsam und allein. Mein Herz rast. Machtlos vor Trauer sehne ich den Moment herbei, in dem er mich wieder in seine starken Arme nimmt und wir als untrennbare Einheit agieren können. Ich bin ein Pilot. Eine agile Kampfmaschine, die hervorragend auf sich selbst aufpassen kann. Schubdüsen verhelfen mir zum Doppelsprung und mit bahnbrechender Geschwindigkeit trotze ich der Schwerkraft. Maschinengewehre, Pistolen und Granaten? Mein Spezialgebiet. Unsichtbar infiltriere ich feindliche Stützpunkte, hacke mich in Computersysteme und verbiege sogar die Zeit. Doch trotz allem bin ich eben nur ein Pilot. Was bedeutet, dass mir immer etwas fehlt, wenn ich alleine unterwegs bin: Ein Titan. Mein Titan. Ein Kampfroboter, groß wie ein Haus, der mit tödlicher Präzision und ungeheurer Kraft alles niedermäht, was sich uns in den Weg stellt. Dieser Mech ist mein Freund, ein eigenständig und intelligent agierendes Geschöpf. Und ich sinniere, ob die Titanen für uns Piloten gebaut wurden oder ob ich für den Titan geschaffen wurde.



Titanfall 2 ist zu kurz, um auf solche existentielle Fragen eingehen zu können. Vermutlich interessiert das gerade aber auch niemanden, denn wir befinden uns im Krieg. Die Frontier Militia, zu der ihr gehört, wehrt sich gegen die Vorstöße der IMC, die ohne Rücksicht auf Verluste nach Ressourcen giert und dafür über Leichen geht. Ein scheinbar simpler Plot, allerdings hat Respawn Entertainment viel Trivia in den Hintergrund gepackt. Dafür, dass das erste Titanfall gar keinen Einzelspieler in petto hatte, durchaus beachtlich. Von Spezialeinheiten wie der SRS bis hin zu unterschiedlichen Söldnergruppen, die alle eigene Ziele verfolgen, ist der Konflikt komplexer als es auf den ersten Blick scheint. Gefällt mir, ebenso wie die Story an sich. Die dreht sich hauptsächlich um eure überraschende Beförderung (zum Piloten) und den darauffolgenden imposanten Amoklauf hinter feindlichen Linien. Da schmerzt es gleich doppelt, dass das Spiel wie gesagt nicht wirklich umfangreich geworden ist. Das Universum bringt zwar nur wenig gänzlich neue Impulse, ist aber interessant und bietet aus meiner Sicht Spielraum für weitere Fortsetzungen.

Zu tun haben wir es mit einem rasanten Ego-Shooter, der erst mit entsprechender Geschwindigkeit sein volles Potential entfaltet. In den Optionen kann man dafür sogar einen auto-sprint aktivieren, auf Knopfdruck rutscht der Protagonist ziemlich weit, mühelos hebt er außerdem vom Boden ab und rennt an Wänden entlang. Den Entwicklern ist es gelungen, dass sich all das ganz natürlich und geschmeidig anfühlt, nicht aufgesetzt und kompliziert. Die Vertikale spielt bei Titanfall eben eine übergeordnete Rolle und das macht Laune. Auf dem Weg von A nach B sammelt ihr verschiedenste Waffensysteme auf, die sich zwar unterschiedlich anfühlen und äußerst gut spielen, allerdings bodenständiger Natur und wenig bemerkenswert sind. Das gilt leider auch für die Söldner und Roboter, die sich euch in den Weg stellen. Eher stumpf agierendes Kanonenfutter, das man problemlos ausschaltet. Dann ist es plötzlich soweit: Euer mächtiger Titan steht vor euch. Man steigt ein, das HUD schaltet um und fortan seid ihr wie verschmolzen und übernehmt die Steuerung des Koloss. Respawn hat hier ganze Arbeit geleistet. Mit einem Mal ändert sich nicht nur eure Perspektive, ihr müsst euer komplettes Kampfverhalten neu überdenken. Titanen können nicht springen, haben aber gewaltige Kanonen und Sekundärwaffen mit an Bord. Es gibt Schutzschilde, deren Einsatz gekonnt getimt werden muss, und Schubdüsen bzw. Täuschkörper helfen euch in brenzligen Situationen. Ihr seid zwar langsamer, aber keinesfalls träge und in der Haut der stählernen Giganten nimmt das Spiel richtig Fahrt auf. Highlight sind hierbei die Gefechte gegen andere Titanen, die überhaupt nicht mit den Scharmützeln per Pedes zu vergleichen sind. Diverse Loadouts, in diesem Fall verschieden zusammengestellte Waffensysteme, halten euch zusätzlich bei der Stange.



Das Leveldesign überrascht zwar immer wieder mit verschiedenen Highlights, ist grundsätzlich aber eher geradlinig. Um das Ganze etwas spannender zu machen, werden Cooper und BT oft voneinander getrennt. Als Pilot bahnt man sich dann alleine den Weg ans Ziel, während euer Titan auf Autopilot schaltet. Er verteidigt sich, hält die Stellung und gibt euch Feuerschutz. Überrascht hat mich BT im Spielverlauf übrigens mit kreativen Ideen. Fast alle Vorschläge zur weiteren Vorgehensweise stammten von ihm. Da frage ich mich doch glatt, wozu der Titan mich überhaupt braucht. Inszeniert ist der Ego-Shooter übrigens ganz hervorragend. Setting, Optik und Akustik überzeugen in allen Kategorien.

Selbstverständlich ist der Einzelspieler nur ein Teil des großen Ganzen, denn Titanfall 2 setzt trotz Kampagne weiterhin voll auf den Mehrspieler. Der hat mir mit pfeilschnellen Gefechten und kreativen Schusswechseln gut gefallen. Pilot und Titan bilden weiterhin eine Einheit, aber anders. Ihr müsst jetzt taktischer vorgehen, noch schneller agieren und clever im Verbund vorrücken. Stoßt ihr versehentlich auf zwei feindliche andere Titanen, war es das. Da hilft dann nur noch der Notausstieg per Schleudersitz. Als Pilot kämpft ihr wiederum solange am Boden, bis ihr genug Punkte verdient habt. Dafür erledigt man Gegenspieler oder Bots, die zahlreich das Schlachtfeld bevölkern und im Prinzip als Zielscheiben dienen. Interessant ist, dass die Vertikale im Multiplayer noch wichtiger ist als sonst. Von Häuserdächern verschafft man sich gegen seine Widersacher, vor allem wenn diese in einem Titan sitzen, dann und wann sogar Vorteile. Zahllose Einstellungsmöglichkeiten stehen euch im umfangreichen (aber nicht überladenen) Menü zur Verfügung. Wäre ich nicht zum Launch voll bei Battlefield 1 gewesen, wäre ich definitiv Titanfall-Spieler geworden. Das ist in Summe ein Actionspiel, wie man es sich wünscht: spannend, mit reichlich Wucht, einem kurzweiligen Einzelspieler und dem komplexen Mehrspieler. Überzeugend, wenngleich Titanfall gelgentlich übers Ziel hinausschießt.


★★★★★     (gut)

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Genre: Ego-Shooter
Entwickler: Respawn Entertainment
Publisher: Electronic Arts

Release: Oktober 2016
getestet: März 2018 // Xbox One // digital // Englisch