Halo Wars 2


Tod von oben


Ich habe zuletzt siebenundneunzig Euro beim Kartenspiel gewonnen, besitze eine viel zu hübsche Freundin und sehe trotz fast 35 Jahren Lebenszeit aus wie Mitte 20. Ich bin offenbar ein Stratege. Jenes Talent kann ich auf der Videospielkonsole leider nur selten ausleben. Insbesondere die Echtzeitstrategie, bei der man die dirigierende Rolle des Todes von oben einnimmt, ist aufgrund komplexer Steuerungsmechaniken quasi nicht verfügbar. Schwer hatte es Halo Wars 2 also nicht, den Genre-Thron zu erklimmen. Denn es füllt dieses klaffende Loch und das auch noch hochqualitativ. Ein feines Stück Software mit starker Lizenz, so dass ich freudestrahlend Warthog und Vulture durch die Lande habe marschieren lassen.



In diesem Testbericht gehe ich übrigens nicht auf den Mehrspieler ein, da ich diesen nicht genossen habe. Etwas merkwürdig mag das anmuten, aber ich habe keine Lust auf Druck und Hektik. Ich möchte in aller Ruhe eine Basis aufbauen, verstärken und langsam, aber sicher den Gegner erst schwächen, um ihm später den Todesstoß zu versetzen. Mein Hauptaugenmerk richtete sich also auf die Kampagne, einige wenige Gefechte gegen die KI und den neuen Blitz-Modus, den man in der Feuergefecht-Variante auch solo erleben kann. Leider bloß auf einer Karte. Die ist recht klein gehalten und drei Plattformen befinden sich darauf verteilt. Eure Aufgabe ist das Erobern und Halten von mindestens zwei jener Plattformen, damit der Punktezähler des Gegners nicht voranschreitet. Hat der nämlich 100 % erreicht, ist die Runde vorbei. Im Gegensatz zu allen anderen Modi werden Einheiten hier nicht gebaut, sondern mit Karten erzeugt. Ihr entscheidet vorab, wie euer Deck aussehen soll und was ihr mit ins Gefecht nehmt. Immer fünf zufällige Karten aus jenem Deck haltet ihr auf der Hand. Spielen könnt ihr die Karten in beliebiger Reihenfolge, solange ihr ausreichend Energie dafür aufbringen könnt. Die fällt prakischerweise wortwörtlich vom Himmel. Höllenbringer kosten 10 Energie, ein Kodiak-Flakpanzer hingegen 110 Energie. Gespielte Karten werden direkt aus dem Deck ersetzt und, keine Sorge, es gibt eine Reihe vorgefertigter Kartensets. Ungeheuer strategisch ist Blitz m. E. übrigens nicht, da man schon eine Menge Glück braucht. Sowohl mit dem KI-Gegner, als auch mit den Landepunkten der Energiekapseln. Spaß macht es trotzdem, vor allem weil hier auch mal eine schnelle Runde möglich ist.

Mit wesentlich mehr Begeisterung habe ich jedoch die Kampagne gestartet, für mich der Kern des Spiels. Von wahnsinnig guten Zwischensequenzen untermalt und absolut hochwertig vertont, wird die Geschichte der Spirit of Fire weitererzählt, die sich im Tiefschlaf irgendwo im All befindet. Erst als das Schlachtschiff auf eine Arche trifft wird die Crew jäh aus ihren Träumen gerissen und befindet sich plötzlich wieder im Krieg. Das alles spielt kurz nach den Ereignissen aus Halo 5. Euer Widersacher ist Atriox, ein mächtiger Brute, der unter sich eine gewaltige Armee von Verbannten aufgebaut hat. Er will die Arche mit Hilfe eines Kartographen kontrollieren, was die UNSC mit aller Kraft verhindern muss. Das Team von Creative Assembly hat sich für die einzelnen Kapitel unterschiedliche spielerische Schwerpunkte ausgesucht und damit für ziemlich viel Abwechslung gesorgt. Missionen, bei denen man schlicht und ergreifend eine Basis aufbaut, um den Gegner zu überrollen, gibt es quasi gar nicht. Stattdessen ist man oft in kleineren Trupps unterwegs, wird gezielt an neue Fahrzeuge oder Einheiten herangeführt, muss spezielle Energieknoten erobern und sogar Endbosse besiegen. Leute wie ich werden dadurch ein wenig aus dem Konzept gebracht, da man sich dem Missionsdesign fügen muss. Allerdings mache ich daraus stets das Beste, denn Spaß macht es am Ende ja doch. Umso schlimmer, dass diese herrliche Kampagne deutlich zu schnell vorbei ist. Nur ca. sechs Stunden Zeit braucht man bis zum Abspann. Das wird selbst durch die Neben- und Bonusziele nicht dramatisch aufgewertet, es hätten gut und gerne vier Missionen mehr sein müssen.



Halo Wars 2 lässt sich mit dem Controller gut bedienen und hat einige intelligente Funktionen mit an Bord, wie das Gruppieren von Einheiten oder die Einzelauswahl von Figuren. Ebenso kann man mit dem D-Pad schnell auf der Karte hin- und herschalten und lokale Einheiten oder alle Einheiten mit nur einem Klick auswählen. Das geht ziemlich flott von der Hand, ersetzt aber nicht die Maus, ist klar. Einen bitteren Beigeschmack hinterlässt jedoch eher die geringe Komplexität des Titels. Dass man Basen nur an bestimmten Plätzen errichten kann und dort auch wieder nur eine Handvoll Bauplätze hat, daran kann man sich gewöhnen. Grandios ist außerdem, dass sich die Einheiten auf vielfältige Art verbessern und erweitern lassen, ebenso wie euer HQ. Fade ist, dass man rasch alles entdeckt hat und man auch nicht gerade viele Einheiten zeitgleich in den Krieg schicken kann. Überdies gibt es auch lediglich knapp zehn verschiedene Gebäude. Ausdauernde Stellungsgefechte, bei denen ich den Gegner nur langsam besiege, musste ich mir gegen die KI selbst zusammenstellen, der Einzelspieler bietet das kaum. Am Ende merkt man, dass diese Limitationen durchaus schmerzen.

Nichtsdestoweniger hatte ich viel Freude mit dem Strategiespiel. Wie sich die Einheiten gegeneinander ausspielen lassen, wie toll es aussieht, wie stimmig es ist mit Warthog, Scorpion und Spartan durch die Level zu eilen. Erwähnen möchte ich noch kurz das Kommando-Rad, mit dessen Hilfe ihr eure Spezialfähigkeiten ins Kampfgeschehen bringt – die das Gefecht binnen Sekunden maßgeblich beeinflussen können. Gewaltige Luftschläge, Schutzschilde, clever platzierte Minen oder die Möglichkeit, seine Einheiten mitten im Krieg zu heilen. Super. Nein, zwar gibt es immer noch Luft nach oben in puncto Umfang und Komplexität, aber die positiven Eindrücke überwiegen. Zumal Strategen sonst ja nichts haben.


★★★★★     (gut)

________________________________________________
Genre: Strategie
Entwickler: Creative Assembly & 343 Industries
Publisher: Microsoft Studios

Release: Februar 2017
getestet: Mai 2017 // Xbox One // pal deutsch