Wolfenstein II : the New Colossus


Welt in Scherben


Die Kraft der Atombombe hat weite Teile der USA vernichtet und den Zweiten Weltkrieg vor vielen Jahren beendet. Die Nationalsozialisten besetzen nun mehr den gesamten Erdball und zwingen die Welt in ein Leben unter dem Hakenkreuz. Propaganda, Angst und Überwachung sind die Waffen des Regimes, um die Menschen zu brechen, während gewaltige Kampfroboter, unbarmherzige Kriegsmaschinen und schwer gepanzerte SS-Soldaten ganze Städte in Schutt und Asche legen. In dieser Dystopie seid ihr der letzte Silberstreif am Horizont. Ihr seid der Kopf der Rebellion. Gemeinsam mit einigen Verbündeten hat sich jene Rebellion tatsächlich Evas Hammer unter den Nagel gerissen, das mächtigste U-Boot des Planeten. Von dort aus plant ihr tödliche Schläge gegen die Unterdrücker, um erst die USA und anschließend die restliche Welt zu befreien.

The New Colossus lebt von dieser Atmosphäre: die Überpräsenz martialischer deutscher Sprache, die giftige Symbolik des dritten Reiches und brutale Nazis, die euch das Blut in den Adern gefrieren lassen. Wolfenstein wäre aber nicht Wolfenstein, würde nicht jede Menge Ironie und Schwarzer Humor mit einfließen, jede Menge Absurditäten und Wahnsinn. Denn in den nächsten Stunden bekommt man Dinge zu sehen, die man so zuvor noch nirgendwo gesehen hat. Dabei spielen die Entwickler gekonnt mit euren Emotionen: Skrupellose Gewalt vermengt sich mit Liebe und Freundschaft, die Bitterkeit jener fiktiven 1960er mischt sich mit dem süßen Mut des Widerstands. Die skurril-bunten Charaktere und die düstere deutsche Übermacht machen Wolfenstein schließlich zu dem, was es ist. Irgendwie ein Geniestreich, abscheulich und bizarr, der ein bisschen was von einem Unfall hat. Eigentlich zu viel des Guten sein, aber wegsehen kann man auch nicht.



Spielerisch ist MachineGames nicht ganz so kreativ und hat erneut einen geradlinigen Ego-Shooter gebastelt, bei dem ihr als zähe Ein-Mann-Armee in der Haut von B.J. Blazkowicz zahllose Nazis über den Haufen schießt. Zumeist beginnt euer Feldzug jedoch gehockt und leise, im Idealfall pirscht man sich geräuschlos an seine Widersacher heran und erledigt diese effizient und heimlich. Leichen wegschaffen braucht man allerdings nicht, die Nazis sind kaum aus der Ruhe zu bringen. Sie entdecken euch selten und auch tote Kollegen erregen nicht immer direkt deren Aufmerksamkeit. Ist man dann aber doch aufgeflogen bzw. hat keine Lust mehr sich zu verstecken, dreht sich das Spielgeschehen komplett. Der in jedem Areal patrouillierende Kommandant ruft nicht enden wollenden Nachschub und das halbe dritte Reich stürmt in eure Richtung, schwer bewaffnet, treffsicher und deutlich in der Überzahl. Ihr wehrt euch mit Maschinenpistole, Schockhammer oder Laserkraftwerk, nutzt B.J.s außergewöhnliche Nahkampffähigkeiten und zerfetzt einen Widersacher nach dem anderen. Wenn man dann mit einem breiten Grinsen im Gesicht und zwei Sturmgewehren im Anschlag schließlich den Kommandanten erledigt, ebbt der Strom aus Feinden endlich ab.

Da man nicht wirklich in Deckung gehen kann und sich auch Rüstung und Gesundheit nicht von alleine regenerieren, bleibt ihr am besten in Bewegung. Geschwindigkeit ist euer Freund und der ansatzlose Sprint kann euer Leben retten. Medkits und auch Rüstungsteile liegen in großer Stückzahl überall herum und stärken euch noch während eines Gefechts. Munitionsknappheit muss hier niemand befürchten und die Freude ist groß, wenn man eine der schweren Waffen in die Finger bekommt. Zwar machen euch Diesel- oder Hammergewehr deutlich langsamer, unterstützen euch im Gegenzug aber mit massiver Feuerkraft. Die braucht es gegen Kampfhunde, die SS, Supersoldaten und Drohnen aber auch. Bodenständig bleiben die äußerst unterhaltsamen Gefechte grundsätzlich aber trotzdem, wie schon bei the New Order ist dies aber keinesfalls negativ gemeint. Völlig nebenbei erstarkt Blazkowicz übrigens immer weiter, da die Perks zurück sind, die je nach Spielweise eure Fähigkeiten passiv verbessern. Das gefällt mir, ebenso wie die simplen Upgrades eurer Waffenkammer. Mehr Schnickschnack gibts dann auch gar nicht, Wolfenstein geht die Sache locker an.



Ganz und gar nicht locker meint es der Schwierigkeitsgrad mit euch. Nicht nur, dass es davon unnötigerweise ganze sieben Stück gibt, nein, the New Colossus ist ohnehin nicht ganz einfach. Das liegt am weiterhin miserablen Treffer-Feedback. Nicht selten fällt man im Kreuzfeuer einfach um und weiß gar nicht, wie einem geschehen ist. Es liegt aber auch daran, dass das Spiel generell eher schlecht ausbalanciert wurde. Zahlreiche Abschnitte bewältigt man mit entsprechender Strategie problemlos, wie in jedem anderen Ego-Shooter auch, dann scheitert man ziemlich plötzlich an einigen Punkten gleich mehrfach – und muss laut fluchen. Die sehr fairen Checkpoints und die immer verfügbare Speicherfunktion wissen dies aber durchaus zu relativieren.

In den ersten Stunden war ich komplett Feuer und Flamme für Wolfenstein. Setting und Figuren, die einzigartige Geschichte und bemerkenswerte Ideen haben mich begeistert. Nach knapp acht Stunden hat die Realität mich dann eingeholt: Der Ego-Shooter hat etliche kleine Defizite, wie z. B. das fade und eindimensionale Leveldesign. Es gibt stets nur einen Weg und der ist nicht weitläufig, sondern linear und eng. Widersacher und Bewaffnung machen Laune, punkten aber ebenfalls nicht durch Komplexität. Schade ist das, denn die Entwickler haben vieles so verdammt gut gemacht. Dank der Enigma habe ich ziemlich gute 15 Stunden auf der Uhr, die Sprecher leisten fantastische Arbeit und das Spiel wirkt lebendig und unglaublich atmosphärisch. Das Design ist so gut, dass ich mir auch zu the New Colossus das Artbook kaufen musste. Es sieht außerdem weit besser aus, als ich dachte und überzeugt mit herrlichen 4K-Texturen, toller Ausleuchtung und zahllosen Details. Darunter befinden sich jede Menge Sammelobjekte und einige wenige Sidequests. Humor, Brutalität, Emotionen und unstillbares Gewehrfeuer verbinden sich zu einem unterhaltsamen Action-Cocktail und ich werde nicht eher ruhen, bis ich 1.000 SS-Helme mein Eigen nenne.


★★★★★     (gut)

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Genre: Ego-Shooter
Entwickler: MachineGames
Publisher: Bethesda Softworks

Release: Oktober 2017
getestet: Januar 2018 // Xbox One // pal NL