Forza Motorsport 7


Das Rennspiel


„Gehe ich die volle Distanz?“ Ich runzle die Stirn und betrachte irritiert die Eckdaten zum Ausdauermodus. Ein Blick auf die Uhr. Eine kurze Überprüfung meines Koffein-Haushaltes. Sitze ich bequem? Na. Schließlich entscheide ich mich gegen das Endurance-Rennen. Denn 69 Runden Spa, so sehr ich diese Strecke auch ins Herz geschlossen habe, sind mir einfach zu viel. Etwa drei Stunden müsste ich ununterbrochen fahren und in dieser Zeit erledige ich stattdessen lieber einen Haufen kleinerer Events. Das bringt nämlich jede Menge Turnierpunkte, die dann wiederum weitere Events freischalten. Die Funktionsweise des Einzelspielers ist damit erklärt, durch Kreativität fällt er nicht unbedingt auf. Eher stoisch arbeitet man viele Rennen ab. Doch das gehört dazu, denn Forza Motorsport 7 ist ein echtes Rennspiel. Das Rennspiel. Ohne Kinkerlitzchen, ohne Feuerwerk, pur und rein. Dafür liebe ich die IP, die ich für eine der wertvollsten im Portfolio von Microsoft halte. Turn 10 sei Dank haben wir es hier mit dem vermutlich besten Rennspiel aller Zeiten zu tun. Doch ungetrübt ist meine Freude nicht.



Denn so sehr ich Forza auch verehre, mir macht die fehlende Innovation des Einzelspielers schon zu schaffen. Meine Erwartungshaltung ist nicht hoch. Es muss ja keine Story geben und meinetwegen nicht mal eine richtige Karriere. Aber der Eventkalender des Driver’s Cup mischt so viele Rennklassen und Fahrzeugtypen miteinander, dass ich keine Gelegenheit habe, in einem Wagen richtig gut zu werden. Genau das ist für mich persönlich der größte Knackpunkt, denn mich in Track Toys zu zwingen, in Hypercars, Oldtimer und Muscle Cars, das gefällt mir nicht. Logisch, dann und wann entdeckt man dadurch tolle neue Fahrzeuge, die man sich sonst nicht angeschaut hätte. Grundsätzlich würde ich aber lieber ganz einfach in einen Rennwagen steigen und damit zum König der Welt werden. Natürlich bietet mir Forza diese Option: Im freien Spiel definiere ich sämtliche Rahmenbedingungen selbst, auch im Mehrspieler ist das der Fall. Aber um mich zu begeistern und zu motivieren, muss ein Racer dieser Qualität das auch im Karrieremodus schaffen.

Seit mittlerweile 13 Jahren steht Forza Motorsport für die innige Liebe zum Automobil. Die neueste Episode erlaubt euch mit ForzaVista einen genauen Blick in und auf eure Vehikel, es gibt eine Menge kurzer Gastkommentare von Rennprofis und die Entwickler sind um Realismus bemüht. Die Simulation hat diesmal satte 700 Autos mit im Gepäck und bringt euch auf den Asphalt von 32 Kursen. Zweiunddreißig. Die meisten Strecken sind der Realität nachempfunden und wurden haarklein und sorgfältig virtuell nachgebaut. An Bord sind aber auch einige wenige Eigenkreationen, die vor allem optisch nochmal ordentlich was aus dem Titel rausholen. Apropos: Als eines der ersten Spiele, die voll und ganz an die Leistungsfähigkeit der Xbox One X angepasst wurden, protzt der Racer mit unglaublicher Grafik. Feine Texturen, bemerkenswerte Witterungseffekte und detaillierte Umgebungen geben den Takt vor. Bis zu 24 Fahrzeuge bewegen sich flüssig und mit irrer Geschwindigkeit über die Pisten. Nachtfahrten, Schadensmodell, glühende Bremsbacken und nass glänzender Asphalt bringen mich jedes Mal wieder zum Staunen.



Wer besser werden will, muss sich logischerweise mit dem Schwierigkeitsgrad befassen, der völlig variabel in seinen Einstellungsmöglichkeiten ist. Technische Fahrhilfen wie ABS nutze ich immer, Bremslinien hingegen nicht. Schrauben dürft ihr auch an der Kompetenz eurer Drivatar-Konkurrenten, die sich erneut aus eurer Freundesliste zusammensetzen und von der Cloud gepowert werden. Mit dem gelungenen Ergebnis, dass sich kein Rennen spielt wie das andere. Ein Sieg ist übrigens nicht die Voraussetzung, um im Driver’s Cup weiterzukommen. Kudos dafür. Denn auch wer z. B. nur Rang 4 belegt, fährt Punkte ein und schaltet, wenn auch langsamer, weitere Events frei. Um den gewaltigen Fuhrpark des Spiels bändigen zu können, bedarf es einer Menge Credits, die man nach jedem Rennen gutgeschrieben bekommt. Mit Forza 6 hat Turn 10 sogenannte Mods eingeführt, mit denen sich die Ausschüttung jener Credits z. T. deutlich steigern lässt. Das System gibt euch bestimmte Herausforderungen vor oder macht euch das Rennen auf die ein oder andere Art und Weise schwerer, dafür gibts dann aber mehr Geld und Erfahrung. Nett, nicht weltbewegend. Gilt ebenso für die Rennanzüge, von denen man weit über 100 Stück ins Spiel eingebaut hat. Die waren mir den Credit-Invest allerdings nicht wert.

Für den Multiplayer, der überragend performt, hatte ich fast keine Zeit. Der Einzelspieler ist dermaßen umfangreich, dass man allein dort über Wochen beschäftigt ist. Mit Lücken in der Motivation zwar, aufgrund der Turnierstruktur, aber das lässt sich bei einem realistischen Rennspiel fast nicht vermeiden. Der eingangs erwähnte Effekt des Abarbeitens ist definitiv vorhanden, aber gar nicht so negativ belegt, wie man vielleicht denkt. Wer FM kauft, der weiß im Regelfall worauf er sich einlässt. Es geht oft um Sekunden, um Wiederholung und darum, eine Spur besser zu sein als die Konkurrenz.

Zum guten Ton gehört ein ausgedehntes Rahmenprogramm, das nicht überrascht, aber dennoch punktet. Das Auktionshaus ist eine der vielen Schnittstellen zur Community und erlaubt euch das Verkaufen alter Karren oder die Suche nach Schnäppchen. Im umfassenden Editor tönt ihr entweder nur die Scheiben oder erschafft komplexe Malereien, ganz wie es beliebt. Tuning-Setups lassen sich in allen Details verwalten, die Telemetrie testen und das Geschaffene dann auch noch teilen. Ebenso wie Replays und Screenshots. Forza hat einen eigenen Hub, der mitunter ordentlich Credits für lau springen lässt, es gibt Rivalen-Vorschläge und DLC-Pakete mit neuen Fahrzeugen. Wer die Motivation nicht aus den Augen verliert, der kann über mehrere Monate in dieses Meisterwerk abtauchen. FM7 erfüllt alle Erwartungen, spielt sich überragend gut, sieht bombastisch aus und macht Laune.


★★★★★     (gut)

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Genre: Rennspiel
Entwickler: Turn 10 Studios
Publisher: Microsoft Studios

Release: Oktober 2017
getestet: April 2018 // Xbox One // pal UK