Resident Evil VII : biohazard


Angst essen Seele auf


Die Vorhänge sind aufgezogen, Sonnenlicht scheint ins Zimmer. Im Fernseher spiegeln sich die Kerzen vom Wohnzimmertisch. Ich kann kaum was verstehen, weil meine Freundin neben mir auf ihrem Laptop tippt und zwischendurch kichert. Ein Albtraum für jeden Telespieler. Wo ist die Dunkelheit, wo der Surround-Sound? Doch das Ganze hat einen Grund: Resident Evil VII. Seit zwei Jahren auf der Festplatte, aber aus Angst nie gespielt. Doch nun, im Schutze der Helligkeit, fasse ich mir endlich ein Herz.

Ethan, du armer Teufel. Drei Jahre war sie spurlos verschwunden, doch urplötzlich erhält er eine bizarre Videobotschaft seiner Frau Mia. Der tapfere Protagonist zögert nicht lange und macht sich auf in die Südstaaten, bewaffnet mit einer Taschenlampe. Einer Taschenlampe! Am Ziel angekommen bahnt er sich seinen Weg durch dichtes Unterholz, vorbei an sumpfigen Tümpeln und einer besorgniserregend zugerichteten Tierleiche. Doch Ethan ist nicht aufzuhalten. Einige Minuten später kommt er keuchend an einem verfallenen Gästehaus an. An diesem Punkt hätte ich auf dem Absatz kehrtgemacht und wäre schwer gepanzert und mit ein paar Freunden oder der Polizei zurückgekommen. Das Haus ist ein chaotisch-widerlicher Haufen Scheiße voller Dreck, Schimmel und Ungeziefer. Die Fenster sind zugenagelt, kaum ein Licht brennt auf den dunklen Fluren. Trotzdem sieht es nicht unbewohnt aus. Völlig unverständlich, dass Ethan nicht von seinem Vorhaben abzubringen ist, vor allem nachdem er den Keller erreicht hat. Doch tatsächlich findet er genau dort seine Mia, eingesperrt und offenbar mit Drogen gefügig gemacht. Zwar knacken die beiden das Schloss des Käfigs, aber die Flucht aus dem Haus gelingt ihnen nicht.



Meine Güte. Das Spiel treibt mir wirklich den Angstschweiß auf die Stirn. Insbesondere die ersten drei Spielstunden sind unfassbar intensiv und ich brauchte immer mal wieder zehn Minuten Pause, um mit neuem Eifer weitermachen zu können. Aus der Ego-Perspektive erkundet ihr das Anwesen der Familie Baker, in dem ihr euch nach dem missglückten Fluchtversuch befindet. Gegner gibt es nicht viele. Im Prinzip nur den Familienvater. Aber der läuft wie wahnsinnig durchs Haus und könnte jederzeit in einer der dunklen Nischen auftauchen oder in einem Zimmer plötzlich vor euch stehen – unbesiegbar und besessen. Das versetzt mich in Panik. Der Puls rast. Geräusche, für die es keine Begründung gibt, lautes Klopfen, ein Telefon klingelt, Schritte. Man greift mit der nackten Hand in die Klinge eines Messers. Zur Hölle! Resident Evil gelingt es überaus gut, genau meiner Vorstellung von Horror zu entsprechen. Das ist großartig, aber auch kaum zu ertragen. Hinzu kommt, dass sich Capcom spielerisch an den Wurzeln der Serie orientiert: wenig Munition, nicht viel Platz im Rucksack, speichern kann man auch nicht überall. Diese Unruhe darf man nicht unterschätzen, trägt sie doch massiv dazu bei, dass man sich zu keiner Zeit sicher fühlt. Obwohl euch (scheinbar) nur der teuflische Hausherr an den Kragen will, ist jeder Schritt von Unsicherheit geprägt.

Das hier etwas nicht stimmt, hat Ethan mittlerweile auch begriffen, der ein Zimmer nach dem anderen durchforstet und alles aufsammelt, was er finden kann. Heilkräuter, Munition, Informationen oder Schlüssel. Das Haus selbst sorgt mit abgeriegelten Gebieten und verbarrikadierten Türen immer wieder für böse Überraschungen. Mysteriöser schwarzer Schleim, widerwärtige Geheimgänge und die absolut verstörende Großmutter im Rollstuhl halten euch ebenfalls auf Trab. Doch euer Arsenal wächst. Wer die Augen offenhält, hat bald Medizin im Gepäck, ist bewaffnet und die simple (jedoch tadellose) Karte gibt zusätzliche Sicherheit. Man gewöhnt sich an die ständige Bedrohung und lernt auch gegen die dummen, aber ziemlich starken schwarzen Geschöpfe zu bestehen, die euch immer wieder wie aus dem Nichts attackieren. Überragend ist den Entwicklern die Atmosphäre gelungen. Vom Garten bis zum Gästehaus, vom Haupthaus bis zum Stall. Es sind kleine Areale, aber randvoll mit Details, bisweilen lebensecht eingefangen.



Überhaupt mangelt es RE nicht an (grausamen) Ideen. Die Mischung aus Ego-Shooter und Action-Adventure spielt sich langsam, ohne Hast. Ruhig und weniger auf Action fokussiert, stattdessen ist der Weg das Ziel, da man immer wieder neue Schlüssel aufspüren muss, um voran zu kommen. Ziemlich linear, aber vollkommen in Ordnung so. Die Kämpfe sind ein wenig hakelig, vor allem mit dem Messer, besser geht es mit Schusswaffen. Die widerstandsfähigen Monster sind dennoch immer eine Herausforderung, haltet euch unbedingt einen Fluchtweg frei und geht konzentriert in jedes Gefecht. Schießt ihr ihnen beispielsweise die Beine weg, könnt ihr sie anschließend recht bequem enthaupten.

Resi macht Spaß, weil man sicherer wird, weil es kreativ und absolut stimmig ist. Jedoch kam unglücklicherweise der Moment, in dem ich meine Angst verloren habe. Der Moment, in dem man RE durchschaut hat. Und in Kombination mit dem (schlechten) letzten Drittel des Spiels, bricht die Atmosphäre fast völlig weg. Es war zwar mein Fehler, dass ich den leichten Schwierigkeitsgrad gewählt habe, dennoch ist das Setting zum Ende hin langweilig und nüchtern, wirkt noch enger und linearer als der Rest. Zu diesem Zeitpunkt war mein Lager überfüllt mit Munition, Waffen und Heilmitteln. Die Gegner sind immer noch dieselben, jedoch keine Herausforderung mehr. Das degradiert Resi zu einem großen Labyrinth, bei dem man immer wieder von A nach B latscht und zwischendurch ein paar rabenschwarze Ungetüme umnietet. Ohne Furcht, ohne Finesse. Die ersten 2/3 fand ich großartig, dann kam Ernüchterung. Bisweilen auch in Sachen Optik: Hier und da absolut detailliert und realistisch, dann wieder verwaschen, grob und stumpf. Die volle Bandbreite. Alles in allem ist Resident Evil VII eine Horror-Perle mit zunächst toller Story und viel Feingefühl, die jedoch zum Ende hin ihre Großartigkeit verspielt.


★★★★★     (gut)

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Genre: Action-Adventure
Entwickler: Capcom
Publisher: Capcom

Release: Januar 2017
getestet: Oktober 2020 // Xbox One // pal UK