Hellblade : Senua’s Sacrifice


Dem Wahnsinn zum Opfer


Ihr Blick ist leer und wirkt gespenstisch, vom Wahnsinn geprägt. Ihr Gesicht ist unter blauer Farbe verborgen und ihr langes Haar kann nur von vielen Bändern und Knoten gezähmt werden. Sie trägt leichte Rüstung, eine scharfe Klinge und wirkt doch verloren. Zerbrechlich und verwirrt. Doch das täuscht. Senua ist eine Kriegerin und hat ihr Ziel fest vor Augen: Helheim, das Reich der Toten. Eine Welt, die nicht für die Lebenden gemacht ist, in der nichts ist wie es scheint und in der man Furcht, Leid und Verwirrung begegnet. Doch das junge Mädchen will die Seele ihres Geliebten erlösen. Dessen Kopf trägt sie an der Hüfte, eingewickelt in ein Leinentuch. Auf dem Fluss Gjöll beginnt ihre vielleicht letzte Reise.

Hellblade erzählt die tragische und mitreißende Geschichte von Senua, die tief in der nordischen Mythologie verwurzelt ist. Während der Plot sich auf dramatische Weise immer weiter entfaltet, erfährt man mehr über Helheim, die bizarre Zwischenwelt der Verstorbenen, und über die Götter und Geschöpfe, die darin wohnen. Dafür nehmen die Entwickler sich Zeit, gehetzt wird hier niemand. Immer wieder gibt es längere Zwischensequenzen, Dialoge oder kleinere Geschichten, die eindrucksvoll eingesprochen wurden. Genau davon lebt Hellblade. Ninja Theory konzentriert sich voll und ganz auf Atmosphäre, eine stimmige Präsentation und natürlich Senua, atemberaubend gut von Melina Juergens gespielt. Das Konzept geht auf. Mit Kopfhörern, ausdrücklich empfohlen, taucht man tief in das Spiel und dessen Geschichte ab. Man spürt eine Art Energie und Intensität, Wut, Angst und Wucht – in jedem Schritt, jedem Schrei und mit jedem Schwertstreich.



In gewisser Hinsicht ist dies das Ergebnis einer massiven Simplifizierung. Hellblade wurde von viel Ballast befreit, der bei AAA-Spielen ansonsten zum Pflichtprogramm gehört. Erfahrungspunkte und Sidequests findet man ebenso wenig wie neue Waffen oder ein Tutorial. Mir gefällt die effektive, übersichtliche Steuerung, das klar und rein wirkende HUD ohne Zahlen, Balken und Benachrichtigungen. Ich verliere mich nicht in anderen Aufgaben, da es schlicht und ergreifend keine gibt, und kann voll und ganz zu Senua werden. Oder bin ich doch eher ihr Begleiter? Hellblade spielt mit meiner Rolle als Beobachter und lässt bewusst offen, wer oder was ich nun eigentlich bin. Ein wunderbarer Schachzug, da sich Senua’s Sacrifice intensiv mit psychischen Traumata beschäftigt. Man erlebt mit, wie die Welt der Protagonistin zusammenbricht, sich in Teilen aufzulösen scheint und wie sie immer weiter in einen tranceartigen Zustand abdriftet. Optik und Akustik verstärken dies eindrucksvoll, lassen Realität und Einbildung verschmelzen und das Delirium so authentisch und glaubwürdig erscheinen. Ob Senua halluziniert, wirklich in Gefahr ist und woher die Stimmen in ihrem Kopf kommen, sind Fragen, die einen bis zum Abspann beschäftigen.

Die bereits erwähnte Geradlinigkeit, die in diesem Fall nicht mit Langeweile gleichzusetzen ist, macht Hellblade in Summe zu einem wenig komplexen Spiel. Nicht zuletzt deshalb ist es für nur 29,99 € zu haben – auf der Xbox übrigens mit One-X-Upgrade, also die mit Abstand stärkste Konsolenfassung. Phänomenal gute Texturen, satte Farben und dazu eine bestechende Kameraführung und feine Animationen. Perfekt ergänzt wird das hochwertige Paket von einer unglaublichen Akustik. Professionelle Sprecher, tolle Dialoge und die bereits erwähnten Stimmen in eurem Kopf ziehen euch tief in den Abgrund, in dem sich auch Senua befindet. Entwickler Ninja Theory ist das Thema der Psychose unheimlich wichtig, was man sich nach dem Durchspielen bei einem Blick hinter die Kulissen noch einmal genauer ansehen kann. Das ist wesentlich. Telespielern sind verstörende audiovisuelle Sinneswahrnehmungen natürlich nicht neu, was aber in diesem Fall dahintersteckt, ist beeindruckend.



Im Herzen ist Hellblade übrigens ein Action-Adventure, bei dem sich Kämpfe und Erkundung regelmäßig abwechseln. Immer wenn Senua ihre Klinge zückt, tauchen am Horizont geisterhafte Geschöpfe auf. Maskiert, muskulös, bewaffnet und ungemein zielstrebig greifen sie euch auf direktem Weg an. Die Attacken können geblockt und gekontert werden, eine Hechtrolle bringt euch in Sicherheit und mit einer Kombination aus leichten und schweren Hieben setzt man den Unholden seinerseits zu. Viele Treffer steckt die Heldin nicht ein, kann sich aber mit Kontern bzw. ihrem Fokus auch während eines Kampfes erholen. Diese fordern eure Reflexe, sind davon abgesehen aber nicht kompliziert. Richtig spannend wird es eigentlich nur, wenn ihr umzingelt werdet und in alle Richtungen agieren müsst. Highlight sind die Endbosse: Die Gefechte werden hier zwar nicht umfangreicher, aber aufgrund ihrer Dauer deutlich spannender. Elementar ist auch die Erforschung Helheims, wobei man meist dem einzig verfügbaren Pfad folgt und kleinere Aufgaben lösen muss, um versiegelte Türen und Tore zu öffnen. Hellblade spielt hierfür mit eurer Wahrnehmung und Perspektive und hat einige unterhaltsame Puzzles ins Spiel eingebaut – die sich aber leider häufig wiederholen. Dank der fantastischen Inszenierung ist dies aber kein wirklicher Grund für Kritik. Denn wenngleich es das Spiel auch hier sehr übersichtlich hält, wirkt es dadurch keinesfalls eindimensional. Es ist die Art und Weise, wie die Entwickler das Ganze angehen, die hier den Unterschied ausmacht.

Auf den Punkt gebracht. Irgendwie ein passendes Fazit zu Hellblade. Trotz stark reduziertem Gameplay ist es ein unglaublich packendes und intensives Abenteuer mit cineastischem Ansatz geworden. Es ist wunderschön, hat mein Interesse an der nordischen Mythologie geweckt und wer sich auf die Einfachheit einlassen kann, der wird mit einem reifen und erwachsenen Trip in eine verstörende Welt belohnt, den man so schnell nicht mehr vergisst. Es ist ein Erlebnis. Geballt, komprimiert, gewaltig. Was will man da denn noch mehr?


★★★★★★     (sehr gut)

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Genre: Action-Adventure
Entwickler: Ninja Theory
Publisher: Ninja Theory

Release: April 2018
getestet: April 2018 // Xbox One // digital // Englisch