Far Cry 5


Little House on the Prairie


Eines meiner größten Geheimnisse ist die Leidenschaft für Unsere kleine Farm, die ich im Alter von neun bis zwölf Jahren hegte. Die aus heutiger Sicht ziemlich absurd wirkende Serie um eine Farmer-Familie hat mich viele Tugenden gelehrt: Gottesfurcht, Enthaltsamkeit, Demut, familiären Zusammenhalt und natürlich den unbeirrbaren Glauben an einen Erlöser. Hätte ich mich nicht vom unheilvollen Sog dieser Sendung gelöst, wer weiß, vielleicht wäre aus mir eine Art Joseph Seed geworden. Der hat sich nach kurzer Rücksprache mit Gott zum Heiland und Vater ernannt und sorgt als Prediger mit liebevoller Strenge für Mord und Totschlag in ganz Hope County.

Um den Terror zum Leben zu erwecken, braucht es nicht zwingend den Nahen Osten. Bei FC5 reichen dafür die malerischen Landstriche der USA, in denen man tagsüber die Felder bestellt und abends auf der Veranda zum Bourbon greift. Einfache Leute mit einfachen Bedürfnissen. Glaubt man Joseph Seed, so steht diese Welt kurz vor dem Kollaps. Deshalb haben er und seine Geschwister freundlicherweise das Projekt Eden’s Gate gegründet und wollen damit zahllose verlorene Seelen retten. Freiwillig ist das Ganze dann aber irgendwie doch nicht. Mit Waffengewalt, Folter und harten Drogen werden die Leute gefügig gemacht und entweder ein Teil des Kults – oder müssen mit den brutalen Konsequenzen rechnen. Die Sekte hat das gesamte Umland unterwandert, die Infrastruktur zerstört und Familien, deren Geschäfte und Farmen ruiniert. Hilfe ist nicht in Sicht. Bis ein namenloser Deputy auftaucht, gewillt den Kult mit Stumpf und Stiel auszurotten.



Setting und Atmosphäre sind Ubisoft ganz ausgezeichnet gelungen. Perfekt auf das Spiel abgestimmte Musik, beeindruckende Optik und ein christlich-fanatischer Kult, dem man so eher selten gegenüber steht, bringen tolle Stimmung auf den Schirm. Dazu das beklemmende Gefühl, inmitten der Prärie völlig auf sich allein gestellt zu sein. Es dauert allerdings nicht lange, bis das Storytelling und vor allem die Charakterentwicklung eklatante und unverzeihliche Schwächen offenbaren: Unglaubwürdig, dass ich als Rookie wie aus dem Nichts eine kampfstarke Miliz mobilisieren kann. Unglaubwürdig, dass ich zwar Helikopter, Boote und Wasserflugzeuge steuern kann, aber es mir nicht gelingt, Hilfe zu holen. Unglaubwürdig, dass der Kult mich mehrfach gefangen nimmt und ich jedes Mal wie durch ein Wunder entkommen kann. Die Dialoge mit den langweiligen NPCs sind eher stumpf und zu allem Überfluss schweigt der Protagonist von der ersten bis zur letzten Spielminute. Ein ganz massiver Rückschritt, FC5 verschenkt hier irre viel Potential.

Um Hope County aus dem Würgegriff der Sekte zu befreien, braucht ihr Verbündete. Der Kult ist euch zahlenmäßig haushoch überlegen und nur langsam kann man durch verschiedene Befreiungsmissionen Boden gut machen. Geiseln werden gerettet, Konvois überfallen, Stellungen und Wachposten von Eden’s Gate erobert. Die Bewohner der Stadt helfen euch dann beim Angriff auf besetzte Flugplätze und Werkstätten, Ranger Stationen oder Farmen. Dafür gibt es Resistance-Punkte, Shops schalten sich frei, neue Missionen sind plötzlich verfügbar und der Wiederaufbau kann beginnen. Das motiviert. Und tatsächlich fühlt man einen gewissen Teamgeist, der sich in dem kleinen Städtchen ausbreitet. Hat man ausreichend Unterstützung gefunden, wird man vom Gejagten zum Jäger und stellt sich einem Mitglied der Seed-Geschwister in den Weg. Bis zum bitteren Ende.



Das spielerische Grundgerüst kam auch schon bei FC4 und Primal zum Einsatz. Ihr befreit einen Ort, bekommt dort neue Aufgaben und einige Sidequests und zieht dann weiter. Ubisoft bringt euch auch diesmal wieder in eine komplett offene Welt. Das steht FC5 gut zu Gesicht und ihr könnt tun und lassen, was ihr wollt. Beispielsweise Bunker plündern, in aller Ruhe ein bisschen angeln oder ihr stürzt euch mit dem Wingsuit von diversen Klippen oder Aussichtsplattformen. Das übersichtliche Menü speichert all eure Aufträge ab, so dass ihr das Tempo selbst vorgebt. Gefällt mir, ebenso wie die Freunde, die man im Spielverlauf gewinnt. Ein bunter Haufen aus Meuchelmördern und Scharfschützen mit jeweils ganz anderen Stärken und Schwächen. Ich bin übrigens oft einfach ohne Karte durch die Gegend gelaufen, habe z. B. in den Wäldern minutenlang rein gar nichts entdeckt, dann taucht am Horizont ein See auf, neue Missionen, ein feindliches Lager oder eine Patrouille. Leider tut man meist nicht mehr, als alles und jeden über den Haufen zu ballern. Auf Dauer langweilig. Während die Schießereien handwerklich absolut in Ordnung sind, ist das Waffenrad überladen und die Kultisten sind dumm, unorganisiert und unfassbar nervig. Vor allem, wenn euch mehrere Events gleichzeitig überraschen und möglicherweise sogar noch ein Flugzeug auf euch aufmerksam wird, greift man dann und wann zur Schnellreise. Weil ein Gefecht einfach nur nerven würde.

Genau wegen solcher Dinge hat mich FC5 nicht überzeugt. Ubisoft verliert die Balance zwischen einem ernstzunehmenden Ego-Shooter und Spielen wie Just Cause, die sich selbst eben nicht ernst nehmen. Auf Wunsch begleiten mich ein Braunbär und eine Raubkatze, während ich mich aus Hubschraubern stürze, mit Drogen vollgepumpte Wölfe erschieße und mit gefühlten 16 Arten von Sprengstoff hantiere. Damit nicht genug: Die Räder greifen diesmal einfach nicht ineinander. Das merkt man u. a. daran, dass Dialoge unfreiwillig beendet werden, weil euer Gegenüber sich wegbewegt oder Feinde sieht, wo keine sind. Auch der Antagonist und sein Kult verlieren im Spielverlauf an Faszination, vor allem deren Bunkeranlagen und die immer gleich aussehenden Kämpfer. Irgendwann ist die Summe der Kleinigkeiten dann zu viel des Guten. Ich habe das Spiel tatsächlich abgebrochen, weil ich einfach die Schnauze voll hatte. Wäre FC5 nicht so umfangreich, hübsch, so leicht zu spielen und die erste Hälfte nicht so überzeugend, dann hätte ich wohl noch strenger benotet.


★★★★     (befriedigend)

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Genre: Ego-Shooter
Entwickler: Ubisoft Montréal & Ubisoft Toronto
Publisher: Ubisoft

Release: März 2018
getestet: August 2018 // Xbox One // pal UK