Forza Horizon 4


Blitzeis trifft Hitzewelle


„Es war eine Mutter, die hatte vier Kinder. Den Frühling, den Sommer, den Herbst und den Winter.“ Ein wunderbares Kinderlied. Jedoch verschweigt es ganz und gar, wie kompliziert das Leben mit den vier Jahreszeiten tatsächlich ist: Blitzeis, Aquaplaning, grell-blendendes Sonnenlicht oder brütende Hitze. Natürlich beeinflusst das Wetter immer auch die Wahl des Fahrzeugs. Im Winter lässt man den Sportwagen besser in der Garage – die Spur kann er außerhalb der Innenstadt ohnehin nicht halten. Wird es wärmer, trumpfen plötzlich Cabrios und Oldtimer auf, bis man sich im ungemütlichen Herbst bestenfalls in einen dicken SUV verkriecht. Der kommt mit nassem Blattwerk und großen Pfützen auch besser klar. Wöchentlich wechselt die Saison bei Horizon und verändert damit das komplette Spiel. Ich habe zuletzt einige Aufgaben vom Winter auf den Frühling verschoben, in der Hoffnung auf trockene Straßen und mildes Tauwetter. Da kann man dann Vollgas geben. Die wechselnden klimatischen Bedingungen sind das größte Novum des Rennspiels, das sich zu einem absoluten Must-have entwickelt hat: Audiovisuell ungemein beeindruckend, viel Abwechslung auf der Piste, unzählige Events und Missionen und dazu das unbeschreibliche Gefühl von Freiheit. Forza vermittelt mehr als die die bloße Jagd nach der besten Rundenzeit.



Nordschleifen-Liebhaber und Mugello-Fetischisten passen deshalb besser auf: Einen klassischen Racer bekommt man hier nicht. Bei Horizon dürfen die Autos rasen, springen, spielen. Als wären sie Tiere, die endlich wieder in die Wildnis entlassen werden. Geschüttelt vor Glück werden Zäune durchbrochen und Mauern eingerissen. Man lässt den grauen Asphalt hinter sich, um durch Felder zu pflügen, durch die Luft zu segeln oder sich in Flüssen zu erfrischen. Die komplette Spielwelt steht euch von der ersten Minute an zur freien Verfügung und gänzlich ohne Ladezeiten brettert ihr, wohin ihr wollt. Im Rahmen des Horizon-Festivals, das diesmal in Großbritannien stattfindet, tauchen immer wieder neue Events auf der Karte auf, die in verschiedene Kategorien bzw. Wagenklassen eingeteilt sind. Es gibt dreckige Rennen aus der Dirt Racing Series, nächtliche Straßenrennen oder die überaus wilden Kurse der Cross Country Series. Größter Unterschied ist der Bodenbelag. Stellt euch auf unbefestigte Wege und Pfade ein, auf Sprungschanzen und Ausflüge in die Natur. Es gibt Strecken, bei denen man zunächst in Reih und Glied auf normalen Straßen unterwegs ist, dann plötzlich auf einen Wald zusteuert und versucht sich auf Kies und Rasen einigermaßen gerade zu halten, während man die Konkurrenz von der Piste drängt. Ist man dann ordentlich eingestaubt, fegt man mitunter in hohem Tempo durch die Vorgärten der Nachbarschaft und donnert mit quietschenden Reifen schließlich zurück auf eine Hauptstraße. Großartig! Getoppt wird dies nur noch von den herausragend inszenierten Showcase Events, bei denen ihr gegen Jets, Dirtbikes oder Luftkissenboote antretet. Die Sprache verschlagen hat mir dieses Jahr vor allem die Halo-Episode.

Playground Games gibt euch auf den meisten Strecken keinerlei Fahrzeug vor. Rein theoretisch kann man auch im hochgezüchteten Ferrari über Hügel hüpfen oder durch Sand sausen, aber Sinn macht das nicht. Dafür gibts ja ausreichend andere Kisten. Für Spieler wie mich, die sich früh ein paar Favoriten aus der Flut an Vehikeln heraussuchen, ist das aber trotzdem ein Grund zur Freude. Und wer Talent hat, der kann über das Tuning-Menü oder mit Hilfe von neuen Bauteilen vielleicht sogar aus einem Pagani Zonda einen Geländewagen machen. Das Rahmenprogramm beinhaltet überdies schier unendliche Möglichkeiten zur optischen Gestaltung eures Autos sowie den bekannten Forza Hub, das Auktionshaus und neuerdings auch diverse Anpassungsmöglichkeiten für euer menschliches Alter Ego.



Forza Horizon 4 ist ein wunderbar ausbalanciertes Spiel. Der Schwierigkeitsgrad lässt sich fein und in etlichen Details einstellen, die unterschiedlichen Events halten sich thematisch ganz gut die Waage und dank fortwährender Belohnungen für nahezu alle Aktionen, die ihr ausführt, ist die Motivation konstant hoch. Schön ist, dass viele Dinge passiv bzw. nebenbei gelingen, wie der Levelaufstieg in den einzelnen Kategorien, das Aufstellen neuer Rekorde oder der Gewinn von Ruf und Credits. Abgesehen von den bereits genannten Rennen gibt es Radarfallen, Gefahrenschilder, Scheunenfunde, Drag- und Drift-Events. Kurz gesagt: Der Racer wird euch wochenlang beschäftigen. Selbst wenn man konsequent alles abarbeitet, kommen mit dem Forzathon immer neue Sonderaufgaben hinzu, die von entsprechenden Live-Events begleitet und aufgepeppt werden. Einzig die Bucketlist ist weggefallen. Jedoch haben die Entwickler hierfür adäquaten Ersatz implementiert, nämlich kleinere Story-Missionen. Ähnliche Struktur, jedoch weitaus unterhaltsamer und kreativer.

Die britische Insel zeigt sich trotz – oder gerade wegen – des wechselhaften Wetters von ihrer Schokoladenseite. Horizon ist mit knackscharfen Texturen, unglaublichem Detailgrad und bemerkenswerter musikalischer Untermalung nicht mehr bloß ein Hingucker, sondern ein Paradebeispiel dafür, wie gut man die Xbox One X im Griff haben kann. Darüber hinaus ist die Inszenierung von A bis Z durchgestylt, beispielsweise die Menüführung und die Siegerehrungen. Umso besser, dass auch spielerisch niemand an Forza vorbeikommt. Die überaus gelungene Mischung aus Arcade und Simulation geht weiterhin gnädig mit Fahrfehlern um, fühlt sich aber niemals unrealistisch oder gar absurd an. Für mich ist das ideal. Außerdem wird man nicht mal mehr von mittelgroßen Bäumen oder Steinen ausgebremst und kann sich völlig unbeschwert austoben. Das war bei Teil 3 etwas strenger. Die Festivalatmosphäre wirkt auf mich beruhigend und entspannend, unkompliziert und stimmig. Es spielt sich ganz einfach flüssig. Dazu kommen Hypercars, Offroad-Exkurse, Wheelspins, versteckte Bonustafeln, Beauty Spots und vieles mehr. What’s not to love? Selten werden außerdem Einzel- und Mehrspieler so reibungslos miteinander verwoben. Niemand wird gezwungen mit anderen Fahrern zu kommunizieren, aber es ist jederzeit problemlos möglich, egal ob gemeinsam oder gegeneinander. Entsprechend gibt es die Bestnote für dieses bildschöne, umfangreiche, intelligente und komplexe Rennspiel.


★★★★★★     (sehr gut)

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Genre: Rennspiel
Entwickler: Playground Games & Turn 10 Studios
Publisher: Microsoft Studios

Release: Oktober 2018
getestet: Februar 2019 // Xbox One // digital // Englisch