Shadow of the Tomb Raider


Gekommen, um zu leiden


Der Rasen ist frisch getrimmt, die Kunstwerke aus aller Welt stehen sicher in ihren Schaukästen und gerade kommt der Butler herein und serviert heißen Kaffee. An Laras Stelle hätte ich mich längst im riesigen Croft Manor zur Ruhe gesetzt. Doch in der jungen Archäologin brennt ein Feuer, das sie immer wieder in die entlegensten Gebiete der Welt treibt. Um Urlaub zu machen? Nein. Sie tauscht Palmen und Sandstrand gegen Schmerz, Terror und Tod. Ein üppiges Buffet braucht sie nicht, stattdessen gibt es Dreck, Leid und böse Flüche. Eine unfreundliche Spirale aus Feuergefechten, Stachelfallen und Naturkatastrophen – und genau das scheint Lara irgendwie zu befriedigen.

Die mittlerweile dritte Tomb-Raider-Episode (Xbox One) nimmt mich erneut mit in die Welt von Ausgrabungen und Heiligtümern. Lara und Jonah, längst ein untrennbares Team, wollen Trinity endgültig das Handwerk legen und kommen dem Geheimbund in Mexiko erfolgreich in die Quere. Der Dolch von Ix Chel ist die Beute, mit der die Protagonistin jedoch unfreiwillig eine Welle der Zerstörung auslöst. Stoppen kann man den Untergang der Welt nur mit dem passenden Gegenstück, der Box von Chak Chel, die sich irgendwo in Peru befinden soll. Eure Reise beginnt, die von Anfang bis Ende super inszeniert wurde. Die Atmosphäre ist gelungen, die Dialoge machen eine gute Figur und die Zwischensequenzen überzeugen. Bleibt ein verheerendes Problem: Ich kaufe Eidos-Montréal das nicht ab. Es ist mir zu platt, nicht gewaltig genug. Was Lara angerichtet hat, wird nur am Rande thematisiert und stattdessen latscht man eine gefühlte Ewigkeit durch kleine Dörfer und kümmert sich um die Belange der Einwohner. Die leben zwar im hinterletzten Winkel der Erde, sprechen aber alle perfektes Englisch. Absurd. Tomb Raider leidet außerdem darunter, dass es zeitweise recht beengt zugeht. Von jedem Dorf aus erreicht ihr binnen etwa zwei Gehminuten diverse Grabstätten und Schatzkammern. Das hinterlässt dann doch einen faden Beigeschmack. Selbst die Dschungelgebiete, ebenfalls angrenzend an die Dörfer, sind überschaubar und wenig weitläufig.



Erkundung ist ein zentrales Thema und es gibt wirklich unheimlich viele versteckte Objekte aufzuspüren. Die Forscherin lernt neue Sprachen anhand von Obelisken, findet fast beiläufig versunkene Schatztruhen und stolpert gelegentlich von einer Grabkammer in die nächste. Die Sammelei macht auch in der dritten Episode immer noch Laune und wird nur von den o. g. Problemen überschattet. Ist man dann aber angekommen, in einer alten Höhle, einem Tempel oder mysteriösen Ruine, verstummt jene Kritik. Hier fühlt sich alles wichtiger, imposanter und umfassender an. Mit großem Respekt habe ich viele Orte betreten, denn da liegt Magie in der Luft. In Vergessenheit geratene Bauwerke und Apparate, zerstörte Verteidigungsanlagen und wild wuchernde Pflanzen. Alles hervorragend präsentiert und optisch beeindruckend eingefangen. Man braucht eine gute Auffassungsgabe und vor allem ein gutes Auge, um die vielen Rätsel zu lösen. Zumeist Schalterrätsel, aber keine langweiligen, die mit ordentlich Akrobatik kombiniert werden.

Um die zahlreichen Reliquien stehlen zu können, braucht es das richtige Equipment und Muskelkraft. Lara ist durchtrainiert und reich – sie hat also beides. Und Mut noch dazu: Wie eine unaufhaltsame Maschine bezwingt sie Steilwände nur mit ihrer Kletteraxt, springt über gähnende Abgründe hinweg, trotzt tödlichen Feuerfallen und arbeitet sich beharrlich ans Ziel vor. Agilität und schnelles Reaktionsvermögen sind gefragt, wenn Felskanten plötzlich abbrechen, riesige Pendel euch als Fahrstuhl dienen sollen oder man in einer Sturmflut ums Überleben kämpft. Wasser spielt übrigens eine ziemlich wichtige Rolle. Es gibt schier zahllose überschwemmte Tunnel, versunkene Grotten und Tempel. Glücklicherweise mit nur wenigen Gegnern und dafür vielen Checkpoints, wie im gesamten Spiel, so dass keinerlei Frust entsteht.



An Land will man euch indes schneller ans virtuelle Leder. Schon früh im Spiel kommt euer zuverlässiger Bogen zum Einsatz, der vor allem bei der Jagd das Maß aller Dinge ist. Nahezu lautlos erlegt ihr Schweine, Rehe oder Vögel und verarbeitet die gefundenen Materialien später weiter. Ab und an werdet ihr wiederum angegriffen, da sich nicht jedes Tier einfach so erschießen lässt. Der Survival-Aspekt kommt zwar eindeutig zu kurz, dafür ist die Charakterentwicklung erneut interessant und Waffen-Upgrades sind ebenfalls mit an Bord. Shotgun, Pistole und Co. braucht Lara zwischendurch nämlich auch, weil Trinitys Söldner aufmerksam sind und man nicht immer um sie herumschleichen kann. Dann braucht es Sperrfeuer oder eine Ladung Schrot. Obwohl die Heldin jedes Schießeisen souverän abfeuert, ist blanke Gewalt nicht ihre größte Stärke (und somit auch nicht die des Spiels). Nach Möglichkeit solltet ihr Fallen aufstellen, Brandsätze basteln oder euch Schlamm ins Gesicht schmieren und zum Stealth-Ungeheuer werden. Unentdeckt kämpft es sich komfortabel und die Entwickler haben sich einige schicke Finishing Moves einfallen lassen, im offenen Gefecht lässt TR hingegen die nötige Griffigkeit vermissen. Das führt dazu, dass ich viele Abschnitte mit Schusswechseln neu geladen habe, bis ich den richtigen Weg gefunden habe.

Shadow of the Tomb Raider hatte Höhen und Tiefen. Es ist mir insgesamt zu klein bzw. eng, die Kämpfe können durchaus nervig werden und die Geschichte ist nicht glaubwürdig und zu allem Überfluss mit einer Prise Übernatürlichem garniert worden. Auf der anderen Seite ist das Action-Adventure vielerorts nicht nur wunderschön, sondern packend und spannend, umfangreich und leicht zugänglich. Stellenweise hat mir der Titel sogar eine Gänsehaut verpasst, also Emotionen geweckt, was immer ein gutes Zeichen ist. Wenn die Kameraperspektive wechselt, während sich Lara über Berge von Leichen durch einen Felsspalt zwängt, euch kreischende Höhlengeschöpfe angreifen oder ein knackiges Rätsel am Ende Sinn ergibt, dann fühlt sich das großartig an. Tolle Musik, eine willensstarke und kompromisslose Protagonistin und das in Summe durchaus dynamische Gameplay lassen mich viele Ungereimtheiten vergessen.


★★★★★     (gut)

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Genre: Action-Adventure
Entwickler: Eidos-Montréal & Crystal Dynamics
Publisher: Square Enix

Release: September 2018
getestet: April 2019 // Xbox One // digital // Englisch